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IX.

Ueber die fortschreitende Entwicklung der geschichtlichen Studien im Königreiche Neapel von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart.

Aus dem Italienischen

von

Adolf Beer,

Die historische Literatur Italiens ist bei uns in Deutschland weniger bekannt, als sie verdiente. Italien hat im 19. Jahrhundert eine Reihe Historiker aufzuweisen, die zu den besten aller Völker und Zeiten gehören. Tüchtigkeit und Gründlichkeit der Forschung, lichtvolle Darstellung, Begeisterung, ohne die nun und nimmermehr ein bedeutendes historisches Werk zu Stande gebracht werden kann, wird ihnen Niemand absprechen, oer sich die Mühe nimmt, sie näher kennen zu lernen. Es sind hervorragende Namen, die zu erwähnen wären, um die sich eine Masse Sterne zweiter und dritter Klasse gruppiren. Wenn man noch in den dreißiger Jahren der italienischen Historie» graphie den Vorwurf machen konnte, sie sei eine Literatur der Spezialitäten, ohne Mittelpunkt und Kern, wohl strotzend von Gelehrsamkeit, aber nicht von dem frischen Hauche des Lebens, von den wogenden Interessen der Gegenwart berührt, die höchsten und wichtigsten Fragen, welche tief in das Leben der Völker eingreifen, nicht berücksichtigend, so hatte man wenigstens theilweise, aber auch nur theilweise Recht. Aber schon damals ahnten Kenner, daß sich ein anderer Zustand vorbereite und erkannten, daß die eigenthümlichen politischen und socialen Verhältnisse Italiens darauf einwirkten.

In den letzten zwei Decennien ist e« anders geworden. Jene zwecklosen Dissertationen, Monographien, mit denen Italien früher überschwemmt wurde und die nur der Ausdruck eines engherzigen municipalen und provinciellen Geistes waren, haben Werten Platz ge» macht, die eine hohe Aufgabe verfolgen: die Fehler und Mängel der Vergangenheit in's helle Licht zu setzen, um eine bessere Zukunft an« bahnen zu helfen. Das Princip nationaler Freiheit und Selbstständigkeit durchdringt alle nur einigermassen hervorragenden Arbeiten und jene Tendenzen, welche in der Politik von den besten und tüchtigsten Italienern verfolgt werden, sind meist von Historikern angeregt und genährt worden.

Dieselben Einflüße, welche das gesammte literarische Leben einer Nation bedingen, machen sich auch in dem Studium der Geschichte geltend. Diese kennen zu lernen und bloszulegen ist ebenso lohnend alsanerkennenswerth. Herr Carlo Cesare hat sich der Aufgabe unterzogen, die Entwicklung der neapolitanischen Literatur zu zeichnen und hat die Resultate seiner tüchtigen Studien im ^,-ctnv!o »torieo italiauo, einer ausgezeichnet redigirten historischen Zeitschrift, 1859 und 1860 veröffentlicht. Sie scheinen uns werth, dem deutschen Publikum vorgelegt zu werden.

Die Übersetzung, welche wir hier bieten, schließt sich im Ganzen eng an das Original an. Nur waren Kürzungen nöthig, und manche weitschweifige Auseinandersetzung konnte ohne Nachtheil für das Ganze beseitigt werden. Die Briefform, in der das Original vorliegt, brachte es mit sich, daß der gelehrte Verfasser sich etwas mehr als nöthig gehen ließ. Einen Brief, der sich über Vico verbreitet, haben wir gar nicht, den über Troha nur theilweise übersetzt; die beiden letzten Briefe mußten schon des Raumes wegen beträchtlich gekürzt werden.

Die Verdienste der hervorragendsten neapolitanischen Historiker sind theilweise auch von Deutschen gewürdigt worden und die Urtheile lauten im Wesentlichen mit den hier gegebenen übereinstimmend. Cesare und Amari haben an Giesebrecht in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft von Schmidt 1845 einen ebenso gerechten als

kundigen Veurtheiler gefunden und Carlo Troya's Werte hat

Hegel in seiner Geschichte der Städteverfassung in Italien gebührend

gewürdigt. Nur tonnten die Faktoren, welche auf die Geschicht»

schreibung in Italien überhaupt einwirkten, von unfern deutschen Hi«

storitern als mit der Aufgabe, die sie sich vorgesetzt, unvereinbar,

nicht dargelegt werden. Und gerade diese sind es, welche Herr Ce

sare im Auge hat und mit feinem Verständnisse und richtigem Takte

darstellt.

I.

Unzweifelhaft gibt es leine Epoche in der Geschichte der Litern« tur, die sich mit der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichen könnte, sowohl was den neuen Impuls betrifft, den sie der europäischen Cultur verlieh, als rücksichtlich der allgemeinen Bewegung, der Wünsche, Hoffnungen, Übertreibungen, Schwärmereien. Gleich dem Antäus in der Fabel erhebt sich ein Volk von Schriftstellern und ihnen zur Seite ein noch größeres Volk von Lesern. In allen Geistern regt sich ein glühender Durst nach Wissen. Und in< dem sie den Weg zu dem heißersehnten Ziele zurücklegen, machen sie ungeheure Anstrengungen, wenden sie eine außerordentliche Mühe, eine unausgesetzte riesige Arbeit an, und weiden hierin von einem mächtigen Vereine von Kräften und Bestrebungen unterstützt, die in einem großartigen gemeinschaftlichen Plane so zu sagen verkörpert sind. Es ist eine Umgestaltung der menschlichen Bestimmungen, eine Entwickelung von früher nicht gekannten Fähigkeiten, ein fortwährendes Streben nach großen Dingen; kurz es ist eine neue Welt, die erwacht, kühn genug, sich an die schwierigsten Unternehmungen zu wagen, die Alles zu Stande bringen möchte, und vor keinem Hindernisse zurückweicht, sich vielmehr neue Hindernisse schafft, um den Ruhm zu ernten, sie überwunden zu haben.

Gekrönte Häupter schließen sich freiwillig dieser großen Bewegung an, und Joseph II. von Oesterreich, Friedrich II. von Preußen und Katharina von Rußland setzen eine Ehre darein, ihrem Purpurmantel das bescheidene Gewand des Philosophen und Schriftstellers vorzuziehen. Mit cynischem Spotte bekämpfen Voltaire, Rousseau, Diderot und die Encyclopädisten an der Seine die alte Welt; in

") Der Lhurfürst war «n der Erregung de« Aufstände« nicht betheiligt. Er versichert da» selbst in einem Vliese an seine Gemahlin, dat, vom 15. Januar 1706. Die bezügliche stelle de» Briefe« ist in Vuchner's bayerischer Geschichte «and IX, und im oberbayerischen Archiv Band XVII. Heft 3 S. 329 abgedruckt; auch Alram« Worte (Oberbayerisches Archiv Band XVII. Hest 3 E. 335» weisen auf da« deutlichste eine Unterschiebung der Mandate nach, Nr. Schreiber jedoch hält in seiner Schrift: „Mar Emanuel, Ehurfürst vou Bayern" S. 90 da« Manifest unbegreiflicher Weise für acht. Ueberhaupt sei über diese Arbeit Schreiber« bemerkt, baß sie in den hier einschlägigen Partien voll Fehler ist. Plinganser und die Senblinger Schlacht sind richtig aufgefaßt, daneben ist aber die Zahl der Landesverthcibiger um Viele« zu hoch angegeben, Gauthier al« Anführer derselben gesetzt u. s, w. Unsere« Er» achten« ist es auch nicht anders möglich, wenn man innerhalb zweier Jahre, drei darunter zwei umfangreiche Schriften „nur auf Urkunden gegründet" im Drucke herausgeben will,

") Er hieß Tobias Oettl und war der Sohn eines Holzhauer«, der im Dienste des Klosters Benebiltbeuern stand. Er war »m 9. Septbr. 1653 zu Steinbach geboren, erhielt seine wissenschaftliche Bildung zu „Weyaren" und München. Am 11. Nov. 1676 trat er in da« Kloster Benedict» beuern und erhielt von der Zeit an den Namen Eliandu«. 1681 wurde er zum Priester geweiht. Bald darauf ernannte man ihn zum Novizen-Lehrer, etwa« später zum Seelsorger in Kochet und Benedict» beuern und nach dem Tode des Abtes Placidu« (»m 25. Juli 1690) wurde er »ls Elianbus II. znm Abt von Benedictbeuern erwählt. Er starb im Jahre 1707. Au« Meichelbecks Chronic. Benedict, zusammengestellt.

") Mit der vergeblichen Entführung der chuiflllstlichen Prinzen agitirte man besonder« unter den Beamten. Nicht minder mußte „de« Chur» surften Wille" „seine allerhöchste Ungnade" eine Rolle spielen.

") Man verabredete sich, am Karl«th°r dieselben aufsteigen zu lassen.

") Soviel weisen die Musterungslisten aus olr. Alrams Bericht. Oberbayer, Archiv Band XVII. S. 338. Kaum ein Drittel derselben war «gel» mäßig bewaffnet. — Durch diese Angaben tritt die Tapferkeit der Bauern in ein noch helleres Licht.

'°) Dieser und Niemand anderer ist eine kurze Zeit der Ober» anführer der Bauern gewesen, Man nennt Gauthier als sol» che«, das ist eine Unmöglichkeit. Denn Gauthier verstand nicht einmal deutsch olr. Oberbayer. Archiv XVII. 338. Zwei gleich zeitig erschienene Druckschriften nennen Meyr, ihn nennt die europäische Fama, über ihn gibt Alram« Bericht den deutlichsten Aufschluß. Spätere Historiker wichen ohne allen Grund von dieser Thatsache ab. Heber den Anführer, den da« Polt »<s solchen lennt, über: „den Schmied von Kochel Balthasar Meyr" vergleiche den ganzen zweiten Theil.

") Näheres über Alram siehe im oberbayer. Archiv Band XVII. S. 330 ff.

") „Nachbeme ihme dessen IViionemont meine proPosition expliciert, mit Lfftern Repetiern tort dien, vor guet gehalten" Alram« Bericht oberbayer. Archiv Band XV!I. S. 338.

") Im Rhat« Prothocoll, Andere« Buch. Stattschreiberey München ?ro H.un<> 17^05 findet sich Fol. 182. Die Angabe, daß der Weinwirth Johann Jäger am 29 Dez, 1705 feine« Amtes als Mitglied de« äußern Rathe« entsetzt und an seine Stelle der Weinwirth Dopst gewählt wurde. —

") olr. Oberbayer, Archiv Band XVII. Heft 3 S. 339.

") Oberb. Archiv. Band XVII, 239.

") Oberbayerisches Archiv. Band XVII. Heft 3 Seite 340.

") Nach Anderen soll der Münchner Bürgermeister Vachieri den Berrath verübt haben. Von wohl unterrichteter Seite lam mir die Mittheilung zu, daß Oettlinger mit Vachieri verwandt war. Es ist daher nicht un» wahrscheinlich, daß Vachieri den Oettlinger zu Löwenstein begleitet, j, dort ihn »!» einen verläßigeu Voten vorgestellt und empfohlen habe.

") Es sollen nach dem monatlichen Staatsspiegel Dez. 1805 S. 112 an diesem Tage auch eine Anzahl Eusanischer Recruten zu Pferd in München angelangt sein,

") Monatlicher Staatsspiegel S. 123.

°°) Monatlicher Staatsspiegel S, 123.

°') otr. Oberbayer. Archiv, «and XVII. Heft 3 S. 341.

") otr. Anmerkung 44.

„nemblichen das Sye Münchner, deren angrif durch steiglaffung einiger Raquet oder Sturmbschlag« auf St. Petersthurm, vnn« lundt machen sollen."

Oberbayer. Archiv. N. XVII. H. 3 S. 340. Die Landesveitheidiger vor München hatten auch schriftlich Nachricht er» halten, daß ihr Einverstanbniß mit den Bürgern entdeckt sei und baß die Unterbayerische L»nde«befension nicht zu ihnen stoßen lönne. Oberbayer. Archiv. Band XVII. Heft 3 S. 341.

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