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Tendenzen, die überhaupt in jener Zeit obwalteten. Es hängt die Eonvenienzpolitit, wie sie Kaunitz genannt hat, auf das engste zusammen mit der Auffassung, die man überhaupt vom Staat hatte, der doch eben nur als eine zufällige Vereinigung von Einzelnen betrachtet ward, über dessen Bildung nach innen und außen lein höheres Gesetz entschied, der nichts Organisches an sich hatte, der auf keinerlei nationale oder historisch begründete Verhältnisse Rücksicht nahm, sondern den man eben nur nach Zwcckmäßigteitsrllcksichten so oder anders zu gestalten suchte. Dies zeigt sich in den inner« Reformen wie in der auswärtigen Politik. Man hat sicher Unrecht, die einen zu preisen und die andere zu verdammen, wenn die letzte auch nicht selten, da sie eben noch über den eigenen Staat hinaus griff und auch auf das Recht anderer keine Rücksicht nahm, härter und ungerechter erscheint.

Man gzht aber am meisten in die Irre und gibt nur ein Zeichen des eigenen Mangels an aller wahren geschichtlichen Ertenntniß, wenn man, wie wir neuerdings gesehen, eine Persönlichkeit, wie die Friedrich'«! des Großen, nach einem willkürlich zurecht gemachten Maßstab von Moral, Recht und Patriotismus messen will, und meiut damit, daß man Einzelnes aneinander fügt, das man heutzutage anders wünschen möchte, Anderes verkleinert und entstellt und ein Zerrbild ohne wirklich historische Wahrheit zeichnet, der Nation eine der wenigen Gestallen nehmen zu können, an deren Anschauung sie sich gehoben hat, und die auch kommenden Geschlechtern ein Zcugniß davon sein wird, was die große Persönlichkeit, die ihre Aufgabe zu fassen und durchzuführen versteht, einem Volke sein kann. Wie man auch über die polnische Theiluug denken und wie entschieden Friedrich's Standpunkt bezeichnen mag, zu einer solchen Verdammniß oder auch nur zu irgend welcher Veränderung des Unheils, das seit lange im deutschen Bewußtsein lebt, gibt sie so wenig Grund wie irgend ein anderes einzelnes Ereigniß in seiner Geschichte.

Dies auszusprechen, hielt ich hier um so mehr am Platze, da dem früheren Aufsatz rou einer Seite her eine Auslegung gegeben ist, gegen die ich mich auf das entschiedenste verwahren muß.

II.

Höster's Entdeckungen im Mladenovicz.

Von
A, Hausiath.

Herr Professor Höfler wurde bei seiner Herausgabe böhmischer Historiker der hussitischen Bewegung*), wie er selbst sagt, von dein doppelten Gesichtspunkt geleitet, einerseits einer Zeit zu gerechter Würdigung zu verhelfen, »in welcher das ^echenland mit einem Male eine europäische Bedeutung, ja beinahe die Diktatur in Europa erlangte», anderseits »jenem Hin- und Herreden, den rhetorischen Ccmpilationen, wie sie in der letzten Zeit in literarischen oder religiösen Vereinen Mode geworden sind, dem Aufputzen einer historischeu Puppe, welche man Hus zu nennen beliebt, ein Ende zu machen«.

Er hat sich dabei offenbar seinem Stoffe gegenüber in einer sehr getheilten Gcmüthsverfassung befunden. Denn während dem ultra

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montanen Historiker jene gewaltige husüische Bewegung nur als eine traurige Vcrirrung erscheinen tonnte, so war es doch wieder dem Präger Patrioten wohlthuend, zu sehen, wie die Weltgeschichte in derselben Zeit den Umweg über Oesterreich genommen. Die Ausglei» chung dieses Zwiespaltes für das österreichische historische Bewußtsein scheint denn auch die Hauptaufgabe unseres Herausgebers gewesen zu sein, da er sich ein Besonderes darauf zu gut thut, "die äußerst schwierigen nationalen wie die confessionellen Rücksichten im gleichen Maße beobachtet zu haben». Und in der That ist das für jenen Standpunkt leine leichte Aufgabe, denn wir Andern waren wenigstens seither der Ansicht gewesen, die Wichtigkeit jener hnsitischen Bewegungen beruhe hauptsächlich auf dem Ungeheuern Eindruck, deu das Erwachsen eines «katholischen Staatswesens mitten im Kreise der katholischen Länder auf die damalige Welt machte, und auf dem na« tionalen Pathos des spezifischen ^echenthums, von dem sie getragen waren. Hofier lehnt in katholischem und österreichischem Interesse Beides ab und kann dennoch die Bedeutung dieser Bewegungen nicht überschwänglich genug preisen; kein Wunder, daß da die »neuen Auf» fassungen« lediglich auf sich selbst widersprechende Behauptungen und auf das wunderliche Unternehmen herauskommen, den HusitismuS möglichst gewaltig, Hus selbst aber möglichst nichtig, trivial und uu» bedeutend darzustellen.

In der Würdigung der Wichtigkeit der hnsitischen Bewegungen, zu welcher übrigens die Forschungen ganz anderer Gelehrten verhelfen haben — stimmen alle neueren Historiker mit Herrn Höfler über« eiu, und nur das müssen wir als einen liebenswürdigen Lotalpatrio» tismns zurückweisen, wenn er behauptet, der Aufschwung der Geister in Europa und das Erblühen der neuen Cnltur sei minder der Einwirkung der flüchtigen Griechen als „Karl IV. tiefem Sinn für Kunst und Wissenschaft zuzuschreiben, der Prag zum geistigen Mittelpunkt deutscher und slavischer Länder erhoben«, denn auf den inueru Umschwung der Geister hat die Entdeckung der alten Welt, die dadurch nahgelegte Bergleichung der alten und neuen Verhältnisse, die von dort komincndc Befruchtung und Umbildung der Anschauungen ganz anders eingewirkt und der damaligen Welt ein ganz anderes Correktiv geboten, als die slcwischen Bewegungen. Wenn auch den deutschen

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Verfasfungsbestrebungen die Furcht vor der böhmischen Klinge ein bedeutender Impuls war, so wurden doch die Geister durch ganz andere Dinge mündig gemacht.

Das aber ist wohl so ernst nicht gemeint, wenn dieser geistige Aufschwung des 15. Jahrhunderts beiläufig auch »von den großen Congressen der bedeutendsten Männer aller christlichen Länder" her» geleitet wird, »von deren gegenseitiger Berührung der elektrische Funken entsprungen«. Das wissen wir denn doch, was das für Geistesfunken waren, die dort aufblitzte» und auch MIadeuovicz hat (p. 276 in Host Ausg.) davon ein schönes Bild gegeben.

Doch hat Herr Höfter sich überhaupt nicht die Mühe genommen, uns über die eigentlichen Ursprünge jener Bewegung aufzuklären, genug daß die seitherige Auffassung »banale Phrase, ein bloßes Hinund Herreden, rhetorische Eompilation« ist, die richtige Auffassung dagegen, die Erkenntniß dessen, »was wahrhaft bleibend, was von weltgeschichtlicher Bedeutung, von innerer Notwendigkeit in diesen Bewegungen war — und eine neue Zeit anbahnte«, die will Herr Höflcr erst bei seinen künftigen Publicationen der Welt offenbaren. Bis dahin müssen wir uns gcdulven, und mit den negativen Resultaten verlieb nehmend, ihm danken, daß er uns durch eine gleichsam neue entdeckte Quelle von dem »Mythus vom Hns» befreit hat.

Diese Quelle ist nämlich nach Höfter die wohlbekannte Historig, äs tllti» et actis HlaAistri «lolianni» Hu» OonstHiioi»«, aus welcher man gerade seither jenes ideale Bild Husens geschöpft hatte. Aber freilich, wir hatten nur eine wahrscheinlich von Hütten herstammende, von Luther durch eine Vorrede scmctionirte gefälschte Ausgabe dieses Auches, und jetzt erst hat Herr Höflcr den ächten Mladcuovicz ermittelt und ist so in der brneidenswerthen Lage, mit einem Schlag Hus, Luther und Hütten moralisch vernichten zu können. Es ist um so bescheidener von dem Herausgeber, daß er die Priorität dieser Entdeckung Hcrru Palacky überläßt, als in der von ihm citirten Stelle der böhmischen Geschichte Palacky davon gar nichts und in der einzigen, in der er sich über den Luthcr'schcn Text äußert, etwas ganz anderes sagt*).

') Nämlich daß die ursprünglich böhmisch geschriebenen Briefe dem lieber«

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