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Geschichte desjenigen Unterprinzipes der Monroedoktrin, das die politische Tätigkeit nichtamerikanischer Mächte in Amerika zu beschränken unternimmt und zweitens in eine Geschichte desjenigen, welches von den Grenzen der politischen Tätigkeit der Vereinigten Staaten Europa gegenüber spricht.

Diese Grundeinteilung weicht von derjenigen ab, die man üblicherweise in den Darstellungen der Monroedoktrin findet. So weit diese sich nicht mit einer Schilderung der mit der Monroedoktrin zusammenhängenden Ereignisse in chronologischer Reihenfolge begnügen, sind sie gewöhnlich unter prinzipieller Vernachlässigung der in dieser Arbeit an zweiter Stelle gegebenen Geschichte des zweiten Unterprinzips der Monroedoktrin Ausführungen über das sogenannte Nicht-Interventionsprinzip und eine Darstellung des,,Nichtkolonisationsprinzips" getrennt. Dies wird jedoch dem oben angegebenen Verhältnisse der verschiedenen Teile der Monroedoktrin nicht gerecht; es zwingt zur Trennung von organisch Zusammengehörigen und gibt ein schiefes Bild von dem historischen Wachsen der Monroedoktrin.

Den Kern der Darstellung bilden Erörterungen über die Geschichte der sachlichen Herrschaftsgrenzen der beiden Unterprinzipien der Monroedoktrin.

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Daneben ergibt sich die Gelegenheit wenigstens für das erste Unterprinzip - zu Sonderbetrachtungen über dessen persönliche und räumliche Herrschaftsgrenzen, sowie über die Frage nach seiner Durchführung und den dazu zur Verfügung stehenden Mitteln.

Es schien praktisch, diese Erörterungen, die nur wenig mit historischen Entwicklungen zu tun haben, der Darstellung der Geschichte der sachlichen Herrschaftsgrenzen jenes Prinzips nachzustellen.

Den Ausführungen über die Entwicklung der beiden Unterprinzipien der Monroedoktrin bis zur Gegenwart hat eine allgemeine Zusammenstellung der gefundenen Ergebnisse zu folgen, die die Grundlage zu Erörterungen über die Beziehungen zwischen Monroedoktrin und Völkerrecht bilden.

Damit ist die Aufgabe der vorliegenden Arbeit erfüllt.

Als geeigneter Schluß erschien es, in einer kurzen Endbetrachtung der Tendenzen zusammenzufassen, auf die die bisherige Entwicklung der Monroedoktrin hindeutet.

Kraus, Monroedoktrin.

6

II. Das erste Unterprinzip:

Der Grundsatz der Beschränkung der politischen
Betätigungsfreiheit nichtamerikanischer Staaten

in Amerika.

1. Allgemeines.

Das erste Unterprinzip der Monroedoktrin richtete sich nach der Monroebotschaft gegen Versuche europäischer Mächte, die darauf gerichtet sind, durch gewaltsame Einengung der politischen Freiheit amerikanischer Staaten oder durch koloniale Neugründungen auf amerikanischem Boden in Amerika ihre politische Macht zu steigern.1)

In ihm liegt der eigentliche Schwerpunkt der Monroedoktrin. In ihm hat sie ihre Lebenskraft bewiesen, und in ihm hat sie eine lebhafte, sich ständig steigernde Entwicklung durchgemacht, die sich teils in der Veränderung des alten Inhaltes, teils in der Klarstellung einer Reihe auftauchender Zweifelsfragen, teils in dem Auftreten neuer Probleme geäußert hat.

Anfangs deutete zwar nichts darauf hin, daß dieser Botschaft ein so bedeutungsvolles Schicksal wie das ihr zuteil gewordene bestimmt sei. Nachdem die über sie in den Vereinigten Staaten, dem übrigen Amerika und — wenigstens soweit sie sich gegen die heilige Allianz richtete auch in England entstandene Genugtuung vorübergegangen war,2) und nachdem die drohende Gefahr europäischen Eingreifens in amerikanische Verhältnisse verschwunden war, spielte sie beinah ein Vierteljahrhundert lang überhaupt keine Rolle. Abgesehen von den mit dem PanamaKongreß zusammenhängenden Ereignissen, die noch zu schildern

1) Vergl. oben S. 66.

2) Über die Aufnahme der Monroebotschaft vergl. insbesondere die folgenden Werke:

Fords, Jeffersons Writings, Bd. X, S. 346 (The Genesis of the Monroedoctrine; Contemporary correspondence onts reception and effect); Henderson, S. 336; Latané, S. 83 f.; Mc Master, History, Bd. V S. 48 ff. im Cap. 41: The growth of the Monroe Doctrine, S. 28 ff.; Moore, VI, S. 404 ff. Ganz besonders Robertson, William Spence, The Monroe Doctrine abroad in 1823 bis 1824 Am. Pol. Rev., 1912, Bd. VÍ, S. 546 ff.; Redd a way, Cap. VI S. 91 ff.

Gegen das Nichtkolonisationsprinzip erhob Canning Rush gegenüber sogar am 2. Jan. 1824 Protest; vergl. dazu Rushs Mem. (Ausg. 1845) S. 471 f. Über die Aufnahme in England vergl. auch Hansards Deb. New. Ser., Bd. X, bes. S. 74 f. (Cannings gewundene Bemerkungen auf S. 68 u. Broughams Bemerkungen in dem Protokoll der Sitzung des House of Commons vom 3. Febr. 1824).

sind, geschah zwar nichts, was ihren Forderungen widersprach. Aber sie selbst wurde mehr und mehr vergessen. Reddaway hat mit Recht bemerkt, daß sie zwei Jahrzehnte lang im Schlafe gelegen habe.1)

Das änderte sich auf einmal als Präsident Polk in seiner ersten Jahresbotschaft vom 2. Dezember 1845 zum Kongreß der Vereinigten Staaten auf sie Bezug nahm und seine Anhängerschaft zu ihr bekannte, die Fortgeltung ihres Inhaltes versichernd.

2. Hauptfälle.

a) Die Botschaft des Präsidenten Polk
vom 2. Dezember 1845.

(Annexion von Texas-Oregon-Streit).

Allgemeines.

Die Umstände, die zum Erlaß dieser Botschaft führten, sind kurz folgende:

Zwei Probleme standen im Vordergrunde der auswärtigen Politik der Vereinigten Staaten und harrten der Lösung, als die Administration auf Präsident Polk überging.

Das war einmal die Frage nach der Vereinigung von Texas mit den Vereinigten Staaten und die sich daran anschließenden Probleme. Das war zweitens die Fortsetzung des Streites um die nördliche Grenze der Vereinigten Staaten von den Rocky Mountains zum Stillen Ozean mit England (sogenannter Oregon-Streit).

Texas hatte sich am 2. März 1836 von Mexiko losgerissen.

1) S. 129.

Texas.2)

2) Vergl. zur Texasfrage die folgende Literaturauswahl: Br. and For. State Papers, Bd. XXXIII (1844-1845) S. 232 ff. (Corr. between Great Britain, the United States, France, Mexico and Texas resp. the Annexation of Texas to the United States (1843—1845), auch Bd. XXV S. 839 ff., Bd. XXXIII S. 252 ff; 25. Cong. 1. sess. H. Doc. XXXX (1837): Annexation of Texas to the United States; Garrison, George T., Diplomatic Correspondence of the Republic of Texas, 3 Teile, in Am. Hist. Ass. Ann. Rep. 1907, Bd. II, Teil 1 (1908) (Washington Governments Printing Off.), eod. Bd. II, Teil 2 (1911) und Bd. II, Teil 3 (1911); Jones, Anson, Memoranda and official correspondence relating to the Republic of Texas, its History and Annexation, New York 1859; Moore, I, § 103; Winkler, Ernest William, Secret Journals of the Senate, Republic of Texas, 1836-1845 usw., Austin 1911; A da ms, E. D., English interest in California, Am. Hist. Rev. XIV (1908–1909) S. 744 ff. Derselbe,

Die großen europäischen Mächte, ebenso wie die Vereinigten Staaten 1) hatten es als eine selbständige Republik anerkannt.

Am 12. April 1844 war zwischen den Vereinigten Staaten und Texas ein Annexionsvertrag geschlossen worden, den der Senat der Vereinigten Staaten aus staatsrechtlichen Gründen zurückgewiesen hatte.2) Am 1. März 1845 hatte der Kongreß eine vereinigte Resolution gefaßt, Texas bei Erfüllung gewisser Bedingungen zu annektieren.3) Diesen Bedingungen war Texas nachgekommen, und so war nur noch ein Gesetz auf seine formelle Zulassung zur Union zu erlassen.4)

Die Vereinigung von Texas mit den Vereinigten Staaten kam nicht nur Mexiko ungelegen, das gegen die entsprechenden Veranstaltungen Protest erhoben und die diplomatischen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten abgebrochen hatte.5) Auch europäische Staaten machten Versuche, diese Annexion zu hintertreiben.")

Die hierbei in Betracht kommenden Tatsachen sind noch nicht vollständig bekannt. Feststeht jedenfalls folgendes:

Mexiko hatte durch Erklärung vom 19. Mai 1845 die Anerkennung von Texas unter gewissen, von diesem Lande angenommenen Be

British interests and activities in Texas (1838-1846), Baltimore 1910; in Kap. XI befindet sich der eben genannte Aufsatz; de Barral-Montferrat, S. 28 ff.; Beaumarchais, S. 68 ff.; Carrol, Benaja H., Die Annexion von Texas, ein Beitrag zur Geschichte der Monroedoktrin, Berliner Dissertation 1904; Cespèdes, S. 197 ff.; Henderson, S. 397 ff. (Oregon and Texas); Rather, Ethel Zivley, Recognition of the Republic of Texas by the United States, Austin (Texas) 1911; Reddaway, S. 129 ff.; Reeves, Jesse S., American Diplomacy under Tyler and Polk, Baltimore 1907, besonders Kap. II und VII; Smith, Justin H., The Mexican recognition of Texas, Am. Hist. Rev., XVI, S. 36 ff.; Derselbe, The Annexation of Texas, New York 1911; Pétin, S. 91 ff.; Tucker, S. 37 ff.; Urquhart, David, The Annexation of the Texas, a case of war between England and the United States, London 1844; Yoakum, Henderson, History of Texas usw., New York 1856.

1) Moore, I S. 101. Diese Anerkennung erfolgte am 7. März 1836 durch Ernennung von Mr. Alcée La Branche zum Chargé d'affaire in Texas.

2) Br. and For. State Papers, XXXIII S. 262 ff. Vergl. auch die Botschaft des Präsidenten Tyler vom 10. Juni 1844, in der Tyler die Zurückweisung dieses Vertrages durch den Senat dem Hause anzeigte, eod. S. 258 ff.

3) Stat. at Large, V S. 797 f. und B r. and For. State Papers, XXXIII S. 265 ff.

*) Dieses Gesetz erging am 29. Dez. 1845, vergl. Stat. at Large, IX S. 108. Mérighnac, Rev. usw. S. 13 erklärt ebenso wie Alcorta, I S. 53, diese Maßnahme sei eine Verletzung der Monroedoktrin gewesen. Ein Grund für diese Behauptung ist nicht ersichtlich.

5) Vergl. Schreiben General Almontos an Staatssekretär Calhoun vom 6. März 1845, in Br. and For. State Papers, XXXIII S. 246 f.

⚫) Vergl. Polks Botschaft in Richardsons, Mess., IV S. 387.

dingungen ausgesprochen.1) Die Hauptbedingung war dabei gewesen, daß Texas sich dazu verpflichtete, sich nie mit den Vereinigten Staaten zu verbinden.

England im Gefolge mit Frankreich hatte jede denkbare Anstrengung gemacht, diese Anerkennung durch Mexiko herbeizuführen, in der Hoffnung, dadurch der Annexation von Texas durch die Vereinigten Staaten einen Riegel vorzuschieben.2) Sie hatten bei den über diese Anerkennung geführten Verhandlungen die Vermittlerrolle gespielt,3) und Präsident Polk behauptete,*) daß sie bei Mexiko darauf gedrungen hätten, Texas nur unter dieser Bedingung anzuerkennen. Außerdem scheint Guizot in der französischen Kammer sich gegen diese Annektierung als eine Gefahr für das Gleichgewicht der Kräfte ausgesprochen zu haben.5) Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten ging viel weiter, und man war dort davon überzeugt, daß England darauf ausgehe, Texas (ebenso übrigens wie Kalifornien) zu besetzen.6)

Oregon-Streit.7)

Wir hatten oben gesehen, 8) daß die Vereinigten Staaten gegen die russischen Territorialansprüche im Nordwesten von

1) Vergl. Br. and For. State Papers, XXXIII S. 250.

2) Vergl. besonders A da ms, English Interests in California, Am. Hist. Rev., XIV S. 744 ff. Besonders S. 750 f.

3) Vergl. Schreiben des französischen Vertreters in Mexiko Baron Aleye de Cyprey zum Präsidenten von Texas, vom 20. Mai 1844; B r. and For. State Papers, 1844-1845, XXXIII S. 249.

Vergl. seine Botschaft in Richardsons, Mes s., IV S. 387.

Vergl. Redd a way, S. 130 u. Moore, Pol. Sc. Quart., XI (1896) S. 17. Vergl. z. B. Falconer, Anm. auf S. 40 f. (genauer Titel dieser Abhandlung in der nächsten Anmerkung.

7) Vergl. hier die folgende Literatur: Br. and For. State Papers, XXXIV (1845-1846) S. 14 f.; LVI (1865-1866) S. 1404 ff.; Cong. Globe, 29. Cong. 1. sess. (1845-1846), Appendix (Die Reden_zur OregonDebatte); Moore, I S. 259 ff., 265, 454-458; V S. 720 ff.; Derselbe, Arbitrations, I, Kap. VI S. 196 ff. (Geschichte des Streites); Report of the Com. of House of Representatives of the 28. Cong., to whom was referred the bill Nr. 21, to organize a Territorial government in the Oregon Territory and for other purposes, 12. März 1844; 28. Cong. 1. sess. (1844); Br. State Papers, LII (1846), Nr. 109 (Corr. relative to the negotiation of the Question of disputed right to the Oregon Territory; Nr. 185 (Vertrag vom 15. Juni 1846); Barrows, William, Oregon: the struggle for possession, 2. Aufl. Boston 1884; Benton, Thirty years view, I S. 13 f., 109 f.; II S. 420 ff. und besonders S. 660 ff.; Carrol, Die Annexation von Texas, Kap. VIII, S. 37 ff.; Falconer, The Oregon Question usw., 1. u. 2. Aufl. London 1845; Farnham, Thomas J., History of the Oregon territory usw., New York 1844; Gray, William Henry, A History of Oregon (1792-1849) usw. Portland und New York 1870; Greenhow, Robert, The History of Oregon and California usw., 2. Aufl. 1845; H a 11, S. 108 ff.; Henderson, S. 379 ff.; v. Holst, besonders III S. 29 ff.; Marshall, William Isaac,

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