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der europäischen Mächte" zu verstehen sei. Man hat sich dabei vor Augen zu halten, daß die betreffenden Ausführungen der Botschaft der Besorgnis entsprungen waren, die großen zur heiligen Allianz verbundenen europäischen Mächte würden ihre in Europa befolgte Praxis der Unterdrückung und Bedrückung schwächerer Staaten auch auf Amerika anwenden. Es muß beachtet werden, daß die Botschaft aus der Furcht vor Europas überlegener Stärke geboren war, daß sie der Angst entsprang, die großen europäischen Mächte könnten Amerika zum Tummelplatz von solchen Wirren machen, wie sie Europa sah, würden in den Freiheitskampf der latin-amerikanischen Staaten eingreifen, würden diese zu ihrer früheren kolonialen Abhängigkeit zurückführen, und die Existenz eines Machtzentrums dieser Mächte in Amerika werde die neu erworbene Freiheit auch der Vereinigten Staaten bedrohen.

Es ist deshalb unter dem,,europäischen System" nicht,,Verfassung und Regierungsprinzipien“1) im Sinne von Verfassung oder Regierungsprinzipien eines einzelnen Staatswesens zu verstehen. Dieser Ausdruck bedeutet vielmehr, wie Dana das sehr glücklich ausgedrückt hat:

,,das auf dem europäischen Kontinente in Wirksamkeit stehende System, durch das die großen Mächte eine Kontrolle über die Angelegenheiten anderer europäischer Staaten ausüben".2)

Ist dem aber so, dann drückt die Monroebotschaft durch alle eben wiedergegebenen Ausführungen inhaltlich nur einen einzigen Gedanken aus. Sie richtet sich gegen den Zuwachs politischer Macht europäischer Staaten in Amerika und erklärt alle zum Zwecke der Vermehrung solcher Macht vorgenommenen Versuche eines europäischen Staates, die Freiheit einer amerikanischen Nation einzuschränken, für unzulässig.

Dabei muß man übrigens gegenüber dem Wortlaute der Botschaft eine Einschränkung machen: Die heilige Allianz drohte mit Gewalthandlungen gegen die früheren spanischen Provinzen in Amerika. Aus diesem Grunde kann man den Sinn der betreffenden Worte der Botschaft nur auf gewaltsame Freiheitsbeschränkungen beziehen.

1) Diese Worte braucht von Bar in Cosmopolis, 1896, S. 542.

2) In seiner Ausgabe des Jahres 1866 von H. Wheatons Elements of International Law, Boston, 1866, § 67, Note 36, S. 112:,,the system in operation upon the continent of Europe, by which the great powers exercise a control over the affairs of other European states".

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Diese Auslegung wird auch durch die Wahl der Worte,,Unterdrückung" und ,,Eingreifen", sowie die im 49. Absatz gebrauchte Wendung,,,daß unsere südlichen Brüder, wenn für sich gelassen, es (d. h. das europäische System) aus eigenem Antriebe“ nicht annehmen würden, unterstützt.

Man kommt deshalb zu der Annahme, daß der hier behandelte Teil der Monroedoktrin in ihrer ursprünglichen Fassung sich gegen Versuche europäischer Mächte wendet, die darauf gerichtet sind, durch gewaltsame Beschränkung der politischen Freiheit eines amerikanischen Staates ihre ihre politische Macht in Amerika zu vermehren.

Vergleicht man diesen Teil mit dem gegen europäische Kolonisationstätigkeit in Amerika gerichteten, so ist festzustellen, daß beide, obgleich durch verschiedene Ereignisse veranlaßt, doch innerlich eng verwandt sind.1)

Kolonisation führt in ihrem Erfolge zum Erwerbe höchster Herrschaftsmacht über das kolonisierte Gebiet, und von dem damit geschaffenen Machtzentrum aus von selbst zu mehr oder weniger ausgedehntem politischen Einfluß über das größere Territorium, in dem jenes kolonisierte Gebiet gelegen ist.

Kolonisation europäischer Nationen in Amerika bedeutet demnach nichts anderes als eine durch bestimmtgeartete Handlungen herbeigeführte Vermehrung der politischen Macht jener Nationen in Amerika. Das ist begrifflich genau das, was auch der zweite Teil des hier behandelten Unterprinzips, welcher sich gegen gewaltsam vorgenommene Beschränkungen der politischen Freiheit amerikanischer Staaten in Europa richtet, verhindern will.

Beide Teile sind demnach lediglich verschiedene Anwendungsformen desselben gegen die Vermehrung politischer Macht europäischer Staatswesen in Amerika gerichteten Obersatzes.

Sie sind jedoch nicht die beiden einzig denkbaren Anwendungsformen dieses Obersatzes.

Der gegen Machtzuwachs durch Landerwerb gerichtete Teil der ursprünglichen Monroedoktrin verbietet nur bestimmt geartete Neugründungen von Kolonien in Amerika. Nicht

1) Diese nahe Verwandtschaft hebt z. B. besonders Foster, S. 445 f. hervor.

richtet er sich jedoch insbesondere gegen Landerwerb durch Rechtsgeschäfte mit einer amerikanischen Macht oder mit einer solchen europäischen Macht, die sich bereits im Besitze von Kolonien in Amerika befindet, über diesen Kolonialbesitz.

Und der zweite Teil, der sich gegen die Beschränkung der politischen Freiheit einer amerikanischen Macht wendet, hat es nur mit gewaltsamen Beschränkungshandlungen zu tun. Er bezieht sich jedoch nicht auf solche Beschränkungen, die durch Rechtsgeschäfte entstehen oder aus Rechtsgeschäften folgen.

Das Verbot der Vermehrung politischer Macht kommt noch in einer zweiten Hinsicht, und zwar in bezug auf die Modalitäten der für unzulässig erklärten Handlungen in der ursprünglichen Monroedoktrin nur beschränkt zum Ausdruck. Beide Teile dieses Verbotes untersagen lediglich Versuche, die auf Machtzuwachs gerichtet sind. Der erste Teil schließt Handlungen aus, die unmittelbar auf den Erwerb neuen amerikanischen Kolonialbesitzes durch europäische Staatswesen gehen. Der zweite Teil spricht es ausdrücklich aus, daß die Vereinigten Staaten Versuche der Übertragung des europäischen Systems auf Amerika als gefährlich für ihre Ruhe und Sicherheit ansehen würden.

Man kann deshalb zusammenfassend folgendes sagen: Das hier behandelte erste Unterprinzip der Monroedoktrin richtet sich nach der Monroebotschaft gegen Versuche europäischer Mächte, die darauf zielen, durch. gewaltsame Einengung der politischen Freiheit amerikanischer Staaten oder durch koloniale Neugründungen auf amerikanischem Boden ihre politische Macht in Amerika zu vermehren.

Zweites Unterprinzip.

Das zweite, von dem Verhalten der Vereinigten Staaten europäischen Angelegenheiten gegenüber handelnde Unterprinzip der Monroedoktrin ist in folgenden Worten der Botschaft enthalten:

einmal im 48. Absatz, zwischen den beiden sich auf das erste Unterprinzip beziehenden Ausführungen:

,,In die bestehenden Kolonien oder Dependenzen irgend einer europäischen Macht haben wir uns nicht eingemischt und werden wir uns nicht einmischen."

und ferner im 49. Absatz:

,,Unsere Politik bezüglich Europas . . . bleibt . . . dieselbe, nämlich nicht in die inneren Angelegenheiten irgend einer ihrer Mächte einzugreifen. . . . .

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Ein äußerer Entstehungsanlaß für diese beiden Erklärungen in der Botschaft lag nicht vor. Sie erscheinen als eine Art Angebot der Vereinigten Staaten zu einer Gegenleistung für die von ihnen den europäischen Mächten gestellten Forderungen. Andererseits sind sie aber nicht bloße Supplemente zu jenen Forderungen. Denn in beiden Fällen sind die Grenzen in offensichtlich verschiedener Weise gezogen worden.

Man wird dem Sinne dieser Versicherungen über das Verhalten der Vereinigten Staaten europäischen Angelegenheiten gegenüber am besten gerecht, wenn man sie ebenfalls als einen Ausdruck des Isolierungsgedankens ansieht. Sie erscheinen dann als Versprechungen, daß die Vereinigten Staaten durch Einhalten einer passiven Stellung Europa gegenüber solche Beziehungen und Verwickelungen zu vermeiden sich bemühen werden, die jene Gefahren für den Frieden und für die Sicherheit der Vereinigten Staaten besonders nahezubringen scheinen, um derentwillen Jefferson sich ein Feuermeer zwischen der alten und der neuen Welt herbeisehnte.1)

Vergleicht man die beiden Teile dieses zweiten Unterprinzips der ursprünglichen Monroedoktrin, so sieht man, daß sie wie die beiden Teile des ersten, gegen politische Betätigungen europäischer Staaten in Amerika gerichteten Unterprinzips nahe mit einander verwandt sind, ja noch näher wie jene. Denn ein ,,sich kümmern" um die Kolonien eines anderen Staates ist ein bestimmt geartetes Eingreifen in die inneren Angelegenheiten dieses Staates. Der vorausgehende der beiden Sätze ist danach nichts anderes als ein besonderer Unterteil des nachfolgenden.

Und der Sinn beider läßt sich dahin zusammenfassen, ,,daß die Vereinigten Staaten nicht in innere europäische Angelegenheiten eingreifen, insbesondere sich nicht um die im Jahre 1823 bereits bestehenden europäischen Kolonien kümmern wollen".

1) Siehe oben S. 53 Anm. 4.

Zweiter Abschnitt.

Die Monroedoktrin von der Monroebotschaft
bis zur Gegenwart.

I. Quellen, Hilfsmittel und Disposition der folgenden
Darstellung.

Bisher ist versucht worden, den Inhalt der Monroedoktrin nach der Monroebotschaft abzugrenzen. Die nächste Aufgabe ist es, ihren gegenwärtigen Inhalt festzustellen. Dazu bedarf es einer sorgfältigen, kritischen Betrachtung der Wandlungen, die sie seit der Verkündung der Botschaft bis zur heutigen Zeit durchgemacht hat.

1. Quellen und Hilfsmittel.

Bevor man an die Lösung dieser Aufgabe herantritt, muß man sich vor allem darüber klar sein, welche Quellen und welche Hilfsmittel dafür zur Verfügung stehen. Eine autorative, nationale oder gar internationale Feststellung des Inhalts der Monroedoktrin liegt nicht vor. Es erübrigen sich deshalb von vornherein längere staatsrechtliche Erörterungen darüber, welche Instanzen für eine solche Feststellung zuständig sind, wie sie zu erfolgen hätte und welche rechtliche Wirkung ihr beikommen würde.

Vor allem hat der Kongreß der Vereinigten Staaten es nur in ganz beschränktem Maße unternommen, diesen Inhalt autoritativ festzulegen.1)

Eine Reihe von Versuchen in dieser Richtung sind gescheitert. Dabei ist vor allem eine Resolution zu erwähnen, die der Senator Allen von Ohio am 14. Januar 1846 im Zusammenhange

1) Über das Wesen von Kongreßresolutionen, insbesondere über die Natur der,,Joint resolutions" als souveräner Willenskundgebungen außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Gesetzgebung vergl. besonders Freund, Das öffentliche Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, Tübingen 1911, S. 115 f.

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