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über die Frage einer gemeinsamen Erklärung gegen ein etwaiges Vorgehen Frankreichs gegen die spanischen Kolonien in Amerika anzuknüpfen.1) Die Angelegenheit führte zu einem Briefwechsel zwischen Canning und Rush, in dem Gedanken, wie die dann in der Monroe-Botschaft ausgesprochenen, zum Teil beinah in den von der Botschaft gebrauchten Wendungen erscheinen.2)

Canning teilte am 20. August 1823 Rush unoffiziell und vertraulich die folgenden höchst interessanten Prinzipien seiner Regierung mit: 3)

,,1. Wir halten die Wiedererlangung der Kolonien durch Spanien für hoffnungslos;

2. Wir halten die Frage ihrer Anerkennung als unabhängige Staaten für eine Frage von Zeit und Umständen;

3. Wir sind jedoch keineswegs dazu aufgelegt, einem Arrangement zwischen ihnen und dem Mutterlande durch freundliche Verhandlung irgend ein Hindernis in den Weg zu legen;

4. Wir streben unsererseits nicht nach dem Besitze irgend eines Teiles derselben;

5. Wir könnten nicht mit Gleichgültigkeit irgend einen Teil derselben an eine andere Macht übertragen sehen." 4)

Canning fragte gleichzeitig vertraulich bei Rush an, ob die Regierung der Vereinigten Staaten geneigt sei, diese Grundsätze ,,in das Gesicht der Welt" zu erklären und ob es in seiner Macht läge, über diese Frage in Verhandlungen einzutreten und ein Ab

1) Vergl. dazu den Bericht von Rush an Staatssekretär Adams vom 19. Aug. 1823 über seine Unterhaltung mit Canning in Canal Corr. 1900, S. 239 ff. (Nr. 323).

2) Davon, daß Canning der Urheber der Monroedoktrin gewesen sei, wie behauptet worden ist, kann natürlich im Ernste keine Rede sein. Vergl. dazu Sumner, Charles, Prophetic voices concerning America A. Monograph. Boston u. New York 1874, S. 152 f. u. 157 f. Vergl. auch Cannings selbstbewußte Bemerkung:,,I called the new world in existence to redress the balance of the old, in Hansards Deb. XVI, 397, vergl. auch Stapletons Political Life of Canning, III, 227. Gegen Sumner, insbesondere Snow, S. 292; gegen Cannings Urheberschaft sprechen sich auch weiter aus z. B. Foster, S. 449 u. ausführlich Scruggs in North American Revue, 176', (1903), S. 188-191.

3) Vergl. Ford, Am. Hist. Rev. VII, 682 und Proc. of Mass. Hist. Soc. XV, Januar 1901, S. 415; ferner den Bericht von Rush in seinen Mem. S. 412, unter dem 13. Aug. 1823.

*) Im Original nicht hervorgehoben.

kommen abzuschließen, oder wenigstens ministerielle Noten zu wechseln.

Rush, der sich dazu nicht ermächtigt fühlte, antwortete Canning am 23. August 1823 ebenfalls vertraulich, daß seiner Ansicht nach die von Canning ausgesprochenen Grundsätze diejenigen der Regierung der Vereinigten Staaten seien, und daß er deren Anweisungen einholen werde.1)

Von der weiteren Korrespondenz, die über diese Angelegenheit von beiden Staatsmännern geführt wurde, ist von besonderer Bedeutung ein Schreiben Cannings an Rush, ebenfalls vom 23. August 1823.o)

In diesem teilt Canning Rush mit, die von ihm vorgeschlagene Verständigung zwischen den beiden Regierungen und eine Bekanntmachung darüber an die Welt sei deshalb besonders wünschenswert, weil er glaubwürdige Nachricht davon erhalten habe, daß seitens der heiligen Allianz nach Beendigung der französischen Operationen in Spanien der Vorschlag für einen Kongreß oder ein weniger formales,,Concert and Consultation" gemacht werden solle, das besonders die spanisch-amerikanischen Angelegenheiten behandeln würde.

3. Die Haltung des Kabinetts in Washington.

Alles das erregte in Washington die größte Unruhe. Präsident Monroe holte den schriftlichen Rat seiner beiden noch lebenden Amtsvorgänger Jefferson und Madison ein 3) und stellte die Frage

1) Canal Corr. 1900 S. 243, Hamilton, Writings of Monroe VI, 365; dort findet sich auf S. 646 ff. die gesamte Korrespondenz zwischen Canning und Rush. Der oben erwähnte Brief befindet sich S. 369 ff.

2) Vergl. Tagebuchbemerkung in Rush's Mem. S. 418 u. 420 f. Der Text des Schreibens, das Rush unter dem 27. an seine Regierung sandte, findet sich in Monroes Writings, VI, 369.

3) Monroes Anfrage an Jefferson vom 17. Okt. 1823 steht im H a milton, Writings of Monroe, VI, 323 ff. sowie in 57. Cong. 1. sess. Sen. Doc. 26 (1901/1902, Bd. II): Corr. of Jefferson with James Monroe concerning Monroe doctrine and Annexation of Cuba, S. 2;

Jefferson s ausführliche Antwort vom 24. Okt. 1823 findet sich in Ford, Jeffersons Writings, X, 277, sowie dem eben angeführten Senatsdokument S. 3 f. Ein Abdruck dieser bedeutsamen Urkunde ist auch im Anhange unten unter I Nr. 2 abgedruckt.

Madisons zurückhaltenderes Schreiben an Monroe vom 30. Okt. 1823 findet sich in Madisons Letters and other Writings (1865) III, 339;

Madisons Schreiben an Jefferson vom 1. Nov. 1823 findet sich ebenda

S. 341.

Alle diese Schreiben sind auch wiedergegeben in Moore, VI, § 933, S. 393 ff.

nach der von den Vereinigten Staaten einzunehmenden Haltung dieser Angelegenheit gegenüber in der Zeit vom 7. bis zum Ende November 1823 zu häufiger Kabinettsberatung.

Das endliche Ergebnis der gepflogenen Erwägungen war, daß nach langem Schwanken die Ansicht des Staatssekretärs Adams durchdrang, die Vereinigten Staaten könnten so lange nicht mit England gemeinsame Sache machen, als England nicht gleichfalls was zu tun es sich sträubte sofort die Unabhängigkeit der Latin-Amerikanischen Republiken anerkenne, und daß die Vereinigten Staaten eine selbständige Erklärung in der Angelegenheit abgeben sollten.

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England eröffnete, das Ende der inzwischen mit den Vereinigten Staaten weitergeführten Verhandlungen nicht abwartend, am 9. Oktober 1823 durch Canning dem französischen Gesandten in London, dem Prinzen Polignac, daß es die Verbindung einer fremden Macht mit Spanien als eine völlig neu entstehende Frage ansehen würde, der gegenüber es eine solche Entscheidung treffen müsse, wie es seine Interessen erheischen würden. Es wurde darauf ein Memorandum verfaßt, worin die französische Regierung ganz ähnlich wie die englische seinerzeit durch Cannings Schreiben vom 20. August 1823 1) erklärte, sie halte die Zurückführung der spanischen Provinzen an Spanien für völlig hoffnungslos; Frankreich habe keine Absichten auf diese Kolonien und wolle nicht gegen sie mit Waffengewalt vorgehen.2)

Die Vereinigten Staaten dagegen gingen in doppelter Weise vor: Einmal benutzte Staatssekretär Adams die mit dem russischen Minister in Washington, Baron Tuyll, zu gleicher Zeit geführten Verhandlungen über Rußlands Neutralität in dem Freiheitskampfe der Latin-Amerikanischen Republiken dazu, dem Baron am 27. November 1823 eine Note zu verlesen, in der er sich über die Leitlinien der auswärtigen Politik der Vereinigten Staaten ausließ

1) siehe oben S. 46.

2) siehe Ford, l. c. S. 691 u. B r. and For. State Papers 1823-1824 (Bd. XI), S. 49 ff., 52.

Canning las dies Memorandum übrigens dem Gesandten der Vereinigten Staaten, Rush, vor. Er tat dies aber erst am 24. Nov. 1823, sodaß es Washington nicht vor Verkündung der Monroe-Botschaft erreichte (vergl. dazu Rush, Mem. S. 450).

und mit erkennbarer Wendung gegen die Interventionspläne der heiligen Allianz in Amerika erklärte,1)

,,daß die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Regierung das gewaltsame Eingreifen irgend einer Macht, ausgenommen Spanien, das den Zweck hätte, entweder die Herrschaft Spaniens über dessen losgelöste Kolonien in Amerika wiederherzustellen oder monarchische Regierungen in diesen Ländern einzusetzen oder eine der einstmals oder noch spanischen Kolonien an irgend eine andere europäische Macht zu übertragen, nicht ruhig mit ansehen würden“.

Außerdem entschied das Kabinett, der Welt über die Anschauungen der Regierung der Vereinigten Staaten zu diesem Punkte durch die nächste Jahresbotschaft des Präsidenten eine Notiz zu geben.2)

III. Die Monroebotschaft als Ausdruck des Grundsatzes politischer Isolation Amerikas.

1. Allgemeines.

Die oben angeführten Worte der Monroebotschaft finden nach dem Ausgeführten ihren äußeren Entstehungsanlaß einmal in dem nach Ansicht der Vereinigten Staaten vorliegenden Versuche einer europäischen Macht ihr amerikanisches Kolonialgebiet

1) Vergl. zur Korrespondenz zwischen Adams und-Tuyll, Proc. of the Mass. Hist. Soc. XV (Januar 1902), 378, 400-405.

Baron de Tuy 11 hatte übrigens dem Staatssekretär bereits am 16. Okt. 1823 erklärt, daß der Zar keine Minister oder Agenten von den neuen amerikanischen Regierungen bei sich empfangen werde. Diese Erklärung wurde in einer offiziellen Note vom gleichen Tage wiederholt, vergl. Ford, 1. c. S. 686, der dort den Text der Note gibt.

2) Die Frage nach der Autorschaft der Monroebotschaft in den hier in Frage kommenden Punkten ist der Gegenstand vielfacher Besprechung geworden. Es ist jetzt nicht mehr zweifelhaft, daß John Quincy Adams ihr geistiger Urheber ist.

Vergl. dazu z. B. Calhoun in Calhouns Works. IV. 461. Curtis, S. 95; Ford, in J. Q. Adams and the Monroe Doctrine Am. Hist. Rev. Okt. 1901 bis Juli 1902, S. 676 ff.; derselbe in seiner Schrift John Quincy Adams, his connection with the Monroe Doctrine, Cambridge 1901; Foster, S. 433; Hart, S. 214 Found.; Morse, bes. S. 136; Reddaway, S. 87; Scruggs in North American Rev. 1761, (1903) 192; Tucker, S. 21 f.; Wilson, S. 68.

Vergl. andererseits Schouler, James, der in einem Artikel mit der Überschrift,,The Autorship of the Monroedoctrine im,,Independent", LX (15. März 1906), S. 619 ff. auszuführen versucht, daß die Monroedoktrin in Wahrheit Monroes eigenes Werk war. Vergl. auch seine Ausführungen in Am. Hist. A ss. Ann. Rep. 1905 (Washington 1906), Bd. I, 123 ff.

Kraus, Monroedoktrin.

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unberechtigter Weise zu erweitern, und zweitens in ihrer Vorstellung, daß eine Allianz europäischer Mächte gewaltsam in die Geschicke der jungen amerikanischen Republiken eingreifen wolle.

In Verbindung mit ihrem geschichtlichen Hintergrund lassen sie zugleich auch die Motive erkennen, die ihre Verkündigung veranlaßt haben:

Nicht das Gefühl großmütiger und selbstloser Hilfsbereitschaft einer starken Nation gegenüber ihren schwächeren,,südlichen Brüdern" ist das der Monroebotschaft unterliegende Motiv. Es ist auch nicht eine den Vereinigten Staaten jetzt häufig als Grund für die Aufrechterhaltung der Monroedoktrin zugeschriebene imperialistische Idee, die amerikanischen Kontinente seien ihr ausschließliches politisches Betätigungsfeld.1) Es ist endlich weiter nicht der Gedanke, daß eine politische Tätigkeit nicht amerikanischer Staaten in Amerika dem Fortschritte der Vereinigten Staaten schädlich sei. Die Botschaft erklärt, irgend einen Versuch, das europäische System auf Amerika auszudehnen, würden die Vereinigten Staaten als gefährlich für ihren Frieden und ihre Sicherheit ansehen. Danach ist die Vorstellung einer Gefahr für den unverletzten Bestand der Vereinigten Staaten der treibende Grund für den gegen die heilige Allianz gerichteten Teil der Monroebotschaft.

Und da die Vereinigten Staaten in Rußlands Ansprüchen auf das streitige Oregon-Gebiet einen Versuch der Wegnahme von ihnen gehörigem Gebiete erblickten, so liegt dasselbe Motiv auch der gegen Rußland gerichteten Erklärung zugrunde.

Die Monroedoktrin ist entstanden aus dem Gefühl der Besorgnis für den ungestörten Bestand der Vereinigten Staaten.

2. Der Isolationsgedanke als politischer Leitsatz der Vereinigten Staaten vor dem Jahre 1823.

Dieses Gefühl der Besorgnis war nicht neu und nicht erst durch die beiden geschilderten Ereignisse in die Köpfe der amerikanischen Politiker hineingelangt.

Es hatte schon vor der Verkündung der Monroebotschaft die Politik der Vereinigten Staaten beherrscht und sich dort in verschiedenen Richtungen betätigt, Richtungen, die man alle unter dem

1) Vergl. dazu besonders die Ausführungen im völkerrechtlichen Teil unter III, 2 und 4.

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