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Nach alledem können wir sagen: Das Recht eines Staates, im Falle eines durch einen andern erfolgenden deliktischen Angriffs auf einen dritten Staat diesem zu Hilfe zu kommen, ist geeignet, eine Reihe der durch die Monroedoktrin angedrohten Interventionshandlungen der Vereinigten Staaten gegenüber politischen Betätigungen nichtamerikanischer Staaten in Amerika völkerrechtlich zu rechtfertigen. Gerechtfertigt erscheinen Hilfeleistungen, die zur Abwehr eines Deliktes im völkerrechtlichen Sinne erfolgen und die von der betreffenden amerikanischen Macht nicht zurückgewiesen werden. Dementsprechend sind auch eine Anzahl der von den Vereinigten Staaten auf Grund der Monroedoktrin vorgenommenen Eingriffe, insbesondere ihre Intervention in dem Venezuela-Grenzstreit, ihr Eingriff in Englands Bemühungen um Kontrolle im mittleren Amerika, und besonders ihre Verhalten gegenüber Frankreichs Intervention in Mexiko völkerrechtlich berechtigte Interventionshandlungen.

4. Monroedoktrin und Suprematie der Vereinigten Staaten.1)

Damit sind die Gesichtspunkte, aus denen die Monroedoktrin völkerrechtlich gerechtfertigt werden könnte, erschöpft.

Es wird zu ihrer Verteidigung, besonders seit dem Eingreifen der Vereinigten Staaten in dem Venezuela-Grenzstreite, häufig auch auf das Bestehen einer Suprematie dieser Republik über die anderen amerikanischen Staatswesen hingewiesen.

Wenn man unter Suprematie den Zustand einer tatsächlichen politischen Führerschaft einer Nation in einem bestimmten Staatenkreise versteht, so besteht sie in der Tat zugunsten der Vereinigten Staaten in Amerika, wie

schen Reichs, 1889, S. 40, spricht z. B. die Ansicht aus, daß man durch Eroberung nur ein ganzes Land, nicht aber Teile eines solchen erwerben

könne.

Vergl. endlich die folgenden drei Verfasser: Carl Heimberger, der Erwerb der Gebietshoheit, Karlsruhe 1882, besonders S. 121 ff.; Salomon, 1. c. besonders S. 25; Ullmann, § 81. Diese drei sind Vertreter der Meinung, Eroberung mache das betreffende Land herrenlos, und es könne nunmehr von dem Eroberer okkupiert werden.

1) Vergl. hier besonders das oben S. 346 ff., bes. 349 Bemerkte.

im Verlaufe dieser Abhandlung wiederholt ausgesprochen worden ist und wie jetzt fast allgemein zugegeben wird.1)

Diese Tatsache ist jedoch in sich selbst ungeeignet, einen Rechtfertigungsgrund für die Monroedoktrin abzugeben.

Suprematie, wie sie hier verstanden wird, ist ein rein tatsächlicher, kein rechtlicher Begriff. Er kann nicht zur Grundlage irgend welcher besonderer Befugnisse der Vereinigten Staaten gemacht werden, wenn man nicht das völkerrechtliche Axiom von der Gleichheit der Staaten aufgeben will.

Dieser Grundsatz der völkerrechtlichen Gleichheit aller Mitglieder der Staatengemeinschaft ist allerdings gelegentlich, und zwar von bedeutungsvoller Seite, angegriffen worden. Es ist in bezug auf,,das europäische Konzert" die Behauptung aufgestellt worden,,,daß die großen Mächte Europas unter stillschweigender Zustimmung aller europäischer Staaten eine Art superintendierender Autorität" in völkerrechtlichen Angelegenheiten erlangt hätten.2)

Mit Recht wird jedoch hiergegen eingewendet, daß diese Ansicht politische und rechtliche Gleichheit verwechsle.3)

Aber auch ihre Richtigkeit zugegeben, und wollte man sie entsprechend auf amerikanische Verhältnisse anwenden, 4) so würde sie höchstens geeignet sein, das Bestehen jenes von Roosevelt proklamierten Mandates der Vereinigten Staaten zur Rolle einer

1) Vergl. hier beispielsweise A 1v a rez, besonders A. J., III S. 313, 319, 324; Bry, S. 162; Céspedes, S. 9, Despagnet, S. 269; Hershey, S. 152f; v. Liszt, S. 65; Martens, I S. 303 (Hegemonie); Mérignhac, Revue usw., 1896 (Sonderabdruck) S. 8; Nys, II S. 242; Taylor, besonders S. 416 ff.

2) Vergl. hier besonders Lawrence, Essays on some disputed questions in modern International Law, Cambridge 1885, Essay V: The Primacy of the Great Powers, S. 208 ff.; Derselbe, Principles, S. 268 ff., besonders auch S. 288 f. Vergl. ferner Hicks, Frederick Charles: The Equality of States and The Hagus Conferences, in A. J., II (1908) S. 530 ff.; Lorimer, I Kap. XV S. 168 ff. (Of the necessity of ascertaining the relative value of States); Derselbe, Le problème Final du Droit International, in R. J., Bd. IX (1877) S. 161 ff., besonders S. 165ff.; Taylor, besonders S. 98 und 417 f.; Westlake, I S. 308 f.

*) Vergl. besonders Oppenheim, I S. 170 f.

4) Vergl. auch Hersheys Bemerkung auf S. 152 für die ,,primacy" der Vereinigten Staaten: ,,It is a Primacy essentially political in its nature which has no legal basis whatsoever, but which rests upon certain maximès enunciated by the fathers of the republics and applied by American statesmen.

Vergl. andererseits aber auch Taylors Worte, S. 418:,,Thus, in a clear and consistent form was finally reached the conclusion that the same supreme directing and arbitrating power which in the Old World is vested in the Concert of Europe, is, in the new, vested in the Government of the United States acting alone."

Art amerikanischen Polizeibehörde zu beweisen. Auch die Anhänger der Theorie von der Ungleichheit der Staaten behaupten nur ein Bestimmungsrecht des europäischen Konzerts in europäischen Angelegenheiten. Nicht aber nehmen sie für dieses Konzert die Befugnis in Anspruch, außerhalb jenes Staatenkreises stehenden Mitgliedern der Völkerrechtsfamilie ihre Entscheidungen aufzudrängen. Demgemäß würden bei entsprechender Anwendung dieses Verhältnisses auf Amerika die Vereinigten Staaten völkerrechtlich noch nicht in der Lage sein, auf Grund einer ihnen dann zustehenden Entscheidungsgewalt in amerikanischen Angelegenheiten zugleich auch über Angelegenheiten nichtamerikanischer Mächte in bezug auf Amerika bindende Entschließungen zu treffen.

IV. Ergebnis.

Das

Mit dem Gesagten sind wir auch am Ende der völkerrechtlichen Ausführungen über die Monroedoktrin angelangt. Ergebnis ist ein wesentlich negatives.

Wir haben gesehen, daß die Monroedoktrin, die in erster Linie ein politischer Grundsatz ist, vom völkerrechtlichen Standpunkte aus hier nur insofern interessiert, als sie für die Durchsetzung ihrer Verbote Gewalt in Aussicht stellt.

Mit Beschränkung auf diese Fälle haben wir uns weiter die Frage vorgelegt, ob die Monroedoktrin etwa zugleich ein völkerrechtlicher Sonderrechtssatz sei, und haben diese Frage zu verneinen gehabt. Dabei war insbesondere schon aus tatsächlichen Gründen auch der Idee zu widersprechen gewesen, daß die Monroedoktrin etwa zum Inhalt eines ,,amerikanischen Völkerrechts“ gehöre, jener modernen und partikularistischen völkerrechtlichen Theorie, die von Alvarez ausgebildet worden ist.

Wir hatten uns bei diesen kritischen Ausführungen über das Verhältnis der Monroedoktrin zum Völkerrecht sodann die Frage vorzulegen gehabt, ob die Monroedoktrin, wenn sie auch ihrerseits kein völkerrechtlicher Sonderrechtssatz ist, sich doch wenigstens auf Völkerrechtssätze zurückführen und durch solche rechtfertigen läßt.

Dabei war lediglich die Frage übrig geblieben, ob die Monroedoktrin unter dem Gesichtspunkt, daß sie berechtigterweise Interventionen androhe, ihre völkerrechtliche Grundlage finde.

Diese Frage war nach vier Richtungen hin untersucht worden: Einmal war danach gefragt worden, ob die Monroedoktrin sich mit dem sogenannten Selbsterhaltungsrecht stützen lasse und inwieweit dies eventuell der Fall sei. Das Ergebnis war hier gewesen, daß allerdings gewisse von ihr umfaßte Fälle als Interventionen zum Zwecke der Selbsterhaltung völkerrechtlich berechtigt erscheinen. Andererseits war aber auch zugleich festzustellen gewesen, daß das Selbsterhaltungsrecht bisher geschichtlich noch keine Rolle als ein Rechtfertigungsgrund der Monroedoktrin gespielt hat.

Sodann war das Verhältnis der Monroedoktrin zum politischen Gleichgewicht untersucht worden, mit dem Ergebnis, daß der Grundsatz des politischen Gleichgewichts, in welche Beziehungen man ihn auch zur Monroedoktrin stellen mag, tatsächlich völlig ungeeignet ist, irgendwie zu ihrer Rechtfertigung etwas beizutragen.

Etwas positiver war das Ergebnis gewesen, das eine weitere Untersuchung danach zeitigte, ob die Monroedoktrin sich etwa deshalb rechtfertigen lasse, weil sie die Hilfe der Vereinigten Staaten bei Zurückweisung deliktischer Angriffe nichtamerikanischer Staaten auf amerikanische in Aussicht stelle. Hierbei hatte sich gezeigt, daß in der Tat gewisse von der Monroedoktrin angekündigte Zwangshandlungen der Vereinigten Staaten unter diesem Gesichtspunkt völkerrechtlich begründet scheinen. Und zwar war festgestellt worden, daß alle solche Hilfeleistungen eine völkerrechtliche Grundlage haben, die zur Abwehr eines deliktischen Angriffs seitens eines nichtamerikanischen Staates auf eine amerikanische Macht erfolgen, wenn diese Hilfeleistungen von der betreffenden amerikanischen Macht nicht zurückgewiesen werden.

Was endlich die vierte Richtung anlangt, in der die hier gestellte Frage erörtert worden ist, so hat es sich ergeben, daß die in Amerika bestehende Suprematie der Vereinigten Staaten 4 über die übrigen amerikanischen Republiken nicht irgendwie dazu geeignet ist, einen Rechtfertigungsgrund der Monroedoktrin vom völkerrechtlichen Standpunkt aus abzugeben.

Soweit die von der Monroedoktrin in Aussicht gestellten Handlungen hiernach keine völkerrechtliche Rechtfertigung ge

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funden haben, sind sie als unbefugte Angriffe der Vereinigten Staaten auf fremde souveräne Staatswesen und deren Beziehungen zu andern Mächten völkerrechtswidrig und mit ihnen zugleich auch die Monroedoktrin, die sie ankündigt.

Scharfe Grenzen für das Maß und die Grenzen der Rechtswidrigkeit der Monroedoktrin zu ziehen, ist nach Lage der Sache unmöglich.

Jedenfalls kann man abschließend folgendes sagen:

Die Monroedoktrin ist insoweit völkerrechtswidrig,1) als sie die gewaltsame Verhinderung eines berechtigten Zuwachses der politischen Macht nichtamerikanischer Staaten in Amerika durch die Vereinigten Staaten auch in solchen Fällen androht, wo deren deren Eingreifen nicht zur Abwehr einer ihrem unverletzten Bestande drohenden unmittelbaren Gefahr erforderlich erscheint.

1) Und zufolge des Verhältnisses zwischen Politik und Völkerrecht auch als politischer Grundsatz zu mißbilligen. Vergl. hier Heffters Worte auf S. 8: ,,Ein Widerspruch zwischen Völkerrecht und Politik, wenn auch in Praxis öfters vorhanden, kann naturgemäß nicht stattfinden; es gibt nur eine Wahrheit und keine sich widersprechenden Wahrheiten. Eine sittlich korrekte Politik kann niemals tun und billigen, was das Völkerrecht verwirft, und andererseits muß auch das Völkerrecht gelten lassen, was das Auge der Politik für den Selbstbestand eines Staates schlechterdings als notwendig erkennt"

Vergl. auch Holtzendorff, Princ., besonders S. 109 ff.

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