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Dritter Abschnitt.

Monroedoktrin und Völkerrecht.

I. Allgemeines.

Bis hierher war von dem Inhalte der Monroedoktrin gesprochen worden. Im folgenden soll ein Versuch gemacht werden, sie einer Kritik von völkerrechtlichen Gesichtspunkten aus zu unterziehen.

Als eine Regel für das Verhalten der Vereinigten Staaten in gewissen auswärtigen Angelegenheiten ist sie in erster Linie ein politischer Grundsatz der Vereinigten Staaten, wie von verschiedensten Seiten unzählige Male wiederholt worden ist.

Diese Tatsache schließt das Bestehen von Beziehungen zwischen ihr und dem Völkerrechte jedoch keineswegs aus.1)

Einmal zeigt die Geschichte anderer politischer Grundsätze, wie z. B. die des Prinzips vom europäischen Gleichgewicht, des Legitimitätsprinzips, des Nationalitätsprinzips, des europäischen Konzerts oder der ,,offenen Tür", welch' ein bedeutungsvoller Faktor solche politischen Maximen sowohl für die tatsächliche Gestaltung völkerrechtlicher Situationen, als auch für die Fortbildung des Völkerrechts sein können. Die Monroedoktrin ist

ihrerseits ein hervorragendes Beispiel hierfür.

1) Das Verhältnis von Völkerrecht und Politik (in dem oben in Betracht kommenden Sinne als praktische Staatskunst) hat bisher noch keine abschließende Behandlung gefunden. Vergl. dazu die gelegentlichen Bemerkungen in den folgenden, auswahlsweise zusammengestellten Schriften: Bluntschli, Johann Kaspar, Lehre vom modernen Staat, III. Teil, Politik als Wissenschaft, 1876, Stuttgart, besonders Kap. III S. 23 ff.: Verhältnis der Politik zur Rechtsordnung; Bulmerincq, in Marquardsen, I § 3 S. 177 f.; Derselbe, Praxis usw., S. 143; Derselbe, La Politique et le Droit dans la Vie Internationale, in R. J., I. Ser. Bd. IX (1877) S. 361 ff.; Geffcken, Das Problem des Völkerrechts in Nord und Süd, XI S. 32; Heffter, S. 8 f.; Hershey, S. 3 f.; Holtzendorff, Prinzipien der Politik, 2. Aufl. 1879, Berlin, S. 219 ff.; Holtzendorff, in H. H., I § 18 S. 64 ff.: Verhältnis des Völkerrechts zur Politik; Leseur, Introduction, S. 50 ff. (Nr. 31 u. 32); Martens, IS. 186; Novico w, J., La Politique Internationale, mit Einführung von Eugène Vèron, Paris 1886; Schmelzing Über das Verhältnis des sogenannten Naturrechts zum positiven Rechte, zur Moral und Politik, 1813; Ullmann, S. 37 f.

Das Maß ihres tatsächlichen Einflusses in dieser Beziehung entzieht sich jeder wissenschaftlichen Feststellung. Dieser Einfluß erstreckt sich nicht nur auf die völkerrechtliche Stellung der übrigen amerikanischen Staaten zu einander, oder zu den Vereinigten Staaten; er bezieht sich auch auf deren Stellung zu den andern Mitgliedern der Völkerrechtsfamilie. Nicht minder übt er seine Wirkungen auf die Stellung der Vereinigten Staaten in diesem Kreise aus. Und endlich ist die Bedeutung, die er für die Erhaltung des Weltfriedens und die Vermeidung vielfacher Reibungen und Streitigkeiten gehabt hat, gar nicht abzugrenzen.1)

Ebenso wenig kann man den Einfluß, den die Monroedoktrin auf die Entwicklung des Völkerrechts ausgeübt hat, scharf abgrenzen. Sie ist als das vornehmlichste Mittel anzusehen, durch das die Vereinigten Staaten ihre Beiträge zur Geschichte des Völkerrechts geliefert haben.2)

Man begegnet ihren Spuren dort an verschiedenen Stellen. Vor allem ist dies in der Interventionslehre der Fall. Die Monroedoktrin ist, insbesondere in Verbindung mit der Haltung Englands den Interventionsneigungen der heiligen Allianz gegenüber, der hervorragendste Faktor für die Entstehung des jetzt so gut wie allgemein anerkannten Nichtinterventionsprinzips geworden.3)

Indem die Monroedoktrin andererseits die Nichtbeachtung dieses Prinzips für bestimmte Fälle in Aussicht stellt, steht sie aber auch wieder dessen unbeschränkter Durchführung im Wege. Eine entsprechende zweiseitige Bedeutung kommt ihr für die Entwickelung des Grundsatzes von der völkerrechtlichen Gleichheit aller selbständigen Staaten zu: Während sie auf der

1) Vergl. hier besonders die Bemerkungen Moores, Four Phases, S. 147 f., der dort schreibt:,,The people of the United States had laid foundations of the system of neutrality; they had materially contributed to the establishment of the freedom of the seas; had announced the doctrine of expatriation and had proclaimed the Monroe Doctrine, they had penetrated with their trade the most distant parts of the globe and had been the chief instrument in opening one of the great empires of the far East to the commerce and residence of foreigners."

2) Vergl. hier weiter folgende, speziell in bezug auf die Monroedoktrin gemachten Bemerkungen Reddaways, S. 2:,,Throughout its course, moreover, the Monroe Doctrine has never ceased to raise questions of national independence, of intervention, of the equality of States, of treaties, of the acquisition of territory which are at once the most important and the most difficult problems of the International Law of Peace."

3) Es mag hier übrigens darauf hingewiesen werden, daß noch am 8. Dez. 1864 eine Bulle Pius IX. dieses Prinzip für einen ,,error" erklärte (Pos. 6a dieser Bulle); vergl. Rivier, Lehrbuch, S. 244; Nys, II S. 230 ff.

einen Seite eine mächtige Schutzmaßregel für diesen Grundsatz ist, bedeutet sie auf der andern gleichzeitig dessen Beschränkung zugunsten der Vereinigten Staaten und auf Kosten der übrigen Nationen.

Ebenso steht es mit ihrer Bedeutung für die Entwickelung des Arbitrationsgedankens:1) Vielleicht kein Ereignis hat ihn praktisch mächtiger gefördert, wie z. B. die Haltung der Vereinigten Staaten in dem Venezuela-Grenzstreite. Andererseits sind aber auch gerade sie es, die der allgemeinen und vorbehaltlosen Verwirklichung dieses Gedankens der Monroedoktrin zuliebe immer noch einen Damm entgegenstellen. (Vergl. die Monroevorbehalte auf den beiden Haager Konferenzen und zu den allgemeinen Schiedsverträgen der Vereinigten Staaten mit England und Frankreich u. a. m.)

Und endlich mag auf den Einfluß hingewiesen werden, den das Verbot weiterer Kolonisation nichtamerikanischer Staaten in Amerika auf die Lehre vom Gebietserwerb und seinen Voraussetzungen, sowie auf die Bedeutung der Monroedoktrin für die neue Theorie vom Bestehen eines amerikanischen Völkerrechts gehabt hat.2)

Aber auch hierüber hinaus können weitere Beziehungen zwischen einem politischen Satz und dem Völkerrecht bestehen. Ein politischer Grundsatz kann sehr wohl zugleich inhaltlich ein Völkerrechtssatz sein oder einen solchen zu seiner Grundlage haben.3) Die Aufrechterhaltung und Durchführung von Völkerrechtssätzen, ebenso wie ihre Anwendung auf Einzelfälle, sind hervorragende, ständig geübte staatliche Aufgaben.

Würde die Monroedoktrin weiter nichts als eine politische Maxime sein, so hätten sich kritische Erörterungen über sie abgesehen von der Frage ihrer Bedeutung für das Völkerrecht mit politischen Untersuchungen, wie besonders der nach ihrem politischen Werte oder Unwerte, zu begnügen.

1) Siehe besonders oben S. 267 ff.

2) Siehe unten S. 364 ff.

3) Bulmerincq, Praxis usw., S. 143, scheint anderer Ansicht zu sein. Er erklärt:,,Der Stoff des Völkerrechts ist ein rechtlicher, wie es bei einer Rechtsdisziplin als selbstverständlich gelten müßte, dennoch wird vielfach Politisches in das Völkerrecht hineingemischt. Rechtliches und Politisches sind aber qualitativ als Unbedingtes und Bedingtes unterschieden. Das Recht setzt fest und läßt keine Wahl, die Politik gibt verschiedene Mittel zu einem Zwecke an und läßt die Wahl frei. Prinzipiell Verschiedenes paßt nicht in ein System: Das Rechtliche gebührt dem Völkerrecht, das Politische der äußeren Politik."

Kraus, Monroedoktrin.

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Dies sind aber Gegenstände, die wir von vornherein aus dem Kreise unserer Ausführungen ausgeschaltet hatten.1)

Ihr zweites Unterprinzip, das es unternahm, Grenzen für die politische Tätigkeit der Vereinigten Staaten Europa gegenüber zu ziehen, war in der Tat ein solch' politischer Zeitsatz und nichts weiter gewesen.

Anders steht es mit ihrem zweiten, gegenwärtig allein noch bestehenden Unterprinzipe.

Für dieses erhebt sich weiterhin die Frage, ob und inwieweit es mit dem Völkerrechte vereinbar oder ob und inwieweit darin ein völkerrechtswidriger Grundsatz aufgestellt sei.

Anlaß hierzu gibt die Art, in der sich die Vereinigten Staaten die Durchsetzung der Monroedoktrin denken und wie sie diese

handhaben.

Ein Bestreben ihrerseits, diese Doktrin zu verwirklichen und durchzuführen, unterliegt zwar an sich noch keiner völkerrechtlichen Kritik.

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Der Ausschluß politischen Einflusses nichtamerikanischer Staaten in Amerika ist kein Zustand, der als solcher völkerrechtlich unzulässig wäre; ein Streben danach würde deshalb an sich noch keine Handlung sein, die in sich selbst schon völkerrechtswidrig ist. Die Verfolgung eines solchen Zieles steht den Vereinigten Staaten frei, ohne daß sie dazu einer besonderen völkerrechtlichen Legitimation bedürften.

Notwendige Voraussetzung ist jedoch dabei, daß bei der Verfolgung eines solchen Zieles nicht Mittel und Wege gewählt werden, durch die bestehende Sätze des Völkerrechts miẞachtet werden.

Würden die Vereinigten Staaten, wie sie es häufig getan haben,2) sich darauf beschränken, die Befolgung der Monroedoktrin durch Übereinkommen mit anderen Mächten oder durch sonstige völkerrechtlich zulässige, freundschaftliche Maßnahmen des diplomatischen Verkehrs herbeizuführen, so würde ihre Handlungsweise außerhalb des Feldes völkerrechtlicher Kritik bleiben.

Die Vereinigten Staaten haben aber mehr getan: Sie haben verboten, und haben die gewaltsame Durchführung dieser Ver

1) Siehe oben das Vorwort S. 8.

2) Vergl. hier beispielsweise insbesondere ihr Verhalten bei der Regelung der dominikanischen Schulden in den Jahren 1905-1907, oben S. 217 ff. Vergl. ferner z. B. ihre Kanalpolitik usw.

bote angedroht. Wir haben oben gesehen, daß die Monroedoktrin ein unter Androhung gewaltsamer Durchführung im Falle ihrer Nicht beachtung erlassenes Verbot an die nichtamerikanische Staatenwelt ist.1)

Die Androhung und der Gebrauch von Gewalt ist als Verletzung fremder Souveränität vom Völkerrecht grundsätzlich untersagt und nur ausnahmsweise zulässig.2)

Es ist auf der andern Seite aber auch fast einstimmig zugegeben, daß derartige Maßnahmen in Ausnahmefällen, über deren Umkreis lebhafter Streit und vollste Verwirrung herrscht, zugelassen werden müssen.3)

Demnach erhebt sich die Frage, ob und inwieweit sich für die Drohungen der Monroedoktrin und damit sie selbst eine völkerrechtliche Rechtfertigung finden läßt.

Dies könnte auf zweifache Weise erfolgen:

Es könnte einmal bewiesen werden, daß die Monroedoktrin ein völkerrechtlicher Sonderrechtssatz sei, der den Vereinigten Staaten einen subjektiven Sonderanspruch zur Erzwingung der Forderungen dieses ihres politischen Leitsatzes gäbe. Es könnte

1) Siehe oben S. 305 und 349 f.

2) Dies wird in der völkerrechtlichen Literatur durchweg nur für Interventionen ausgeführt. Tatsächlich ist aber nicht jede Gewalthandlung oder jede Drohung eines Staates gegen einen andern eine Intervention. Interventionen sind nur autoritative, unter Androhung von Gewalt vorgenommene Einmischungen eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen oder in die Beziehungen zweier von dem Eingreifenden verschiedener Mächte. Und zwar ist dies, wie gewöhnlich ebenfalls nicht beachtet wird, weiterhin nur dann der Fall, wenn die betreffende Angelegenheit nicht zugleich eine eigene Angelegenheit des Eingreifers ist. Selbsthilfehandlungen zur Verteidigung des Kreises der völkerrechtlich geschützten Interessen des betreffenden Staates sind ebenso wenig Interventionen wie Angriffe desselben auf einen andern Staat, die, wie z. B. rechtlose Eroberungskriege oder wie die Geltendmachung und Erzwingung eines Anspruchs, nicht Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des angegriffenen Staates sind. Diese Beschränkungen ergeben sich als unmittelbar notwendig, weil andererseits der völkerrechtliche Begriff der Intervention seine begriffliche Eigenart verlieren und in dem weiteren Begriff der Zwangshandlung aufgehen würde.

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Sehr korrekt von Liszt, S. 63. Für Interventionen vergl. insbesondere: Bonfils, S. 175; Carnazza-Amari, I S. 495; Despagnet, S. 251; Gareis, S. 95; Hall, S. 279; Heffter, S. 109; Heilborn, besonders S. 253; Hershey, Ann. A m. A c. Pol. and Soc. Sc. Vol. XI (1898) S. 60; besonders die Anmerkung; Lawrence, S. 123 f.; Mérignhac, I S. 284; Oppenheim, I S. 188; Pié delièvre, I S. 261; PradierFodéré, IS. 547; Rivier, Princ., I S. 397; Lehrb. S. 243; Walker, Mandu Manual, S. 19; Wilson, S. 57.

3) Daß Interventionen nie zu rechtfertigen seien, behauptet z. B. Fiore Droit International codifié, Nr. 44 S. 304; vergl. auch S. 307.

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