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IV. Die Monroedoktrin der Gegenwart.

Das vorbeigezogene Bild zeigte ein immer breiter und stärker Werden des ersten Unterprinzips der Monroedoktrin, das von der Beschränkung der politischen Tätigkeit nichtamerikanischer Mächte in Amerika spricht.

Auf der andern Seite sahen wir ein dauerndes Schwächerwerden und Verblassen des zweiten Unterprinzips, das den Vereinigten Staaten Europa gegenüber Beschränkungen auferlegte, bis zu seinem Verschwinden durch Nichtbefolgung.

Aber nicht nur die persönlichen, räumlichen und sachlichen Herrschaftsgrenzen der Monroedoktrin haben wesentliche Wandlungen durchgemacht, und nicht nur hat sie in dem nunmehr einzig noch bestehenden ersten Unterprinzip an Lebenskraft und Durchsetzungswillen zugenommen; auch ihr Sinn hat sich grundlegend gewandelt:

Jenes,,Hands off", das die Monroebotschaft beiden, den europäischen Mächten wie den Vereinigten Staaten zurief, war der Besorgnis dieser für ihren ungeschmälerten Bestand entsprungen gewesen. Diese Besorgnis war das Motiv für die Entstehung der Monroedoktrin, und politische Isolation Amerikas zur Erhaltung der Vereinigten Staaten ihr Grundgedanke gewesen.

Mit dem Wachsen der Macht der Vereinigten Staaten zur Ebenbürtigkeit und zur Überlegenheit über ihre nichtamerikanischen Rivalen in Amerika hatte die defensive Idee der Isolation zur Verteidigung der Vereinigten Staaten ihren Sinn verloren.1) Soweit sie den Vereinigten Staaten Beschränkungen auferlegte, waren diese daher über sie hinweggegangen. Sich aus ihrer politischen Zurückhaltung herausbegebend, brachten sie das zweite Unterprinzip, das ihnen diese Zurückhaltung auferlegt hatte, zum Verschwinden.

Aber noch mehr: Nur in einem einzigen Falle, nämlich dem Oregon-Streit mit England, ist nach Erlaß der Monroebotschaft die Monroedoktrin zur Zurückweisung von angeblich gegen die Vereinigten Staaten selbst und unmittelbar gerichteten Angriffen einer nichtamerikanischen Macht aufgerufen und benutzt worden. Und in diesem Falle ist das Ergebnis so gewesen, wie es wahrscheinlich ohne die Monroedoktrin ebenfalls gewesen sein würde: ein Kompromiß.

1) Siehe oben S. 64 ff.

Nach diesem Ereignisse haben die Vereinigten Staaten es nicht mehr für nötig gehalten, zur Begegnung von Angriffen auf ihre eigene Unabhängigkeit oder Souveränität hinter der Monroedoktrin ihren Schutz zu suchen. Weder bei den Erörterungen um die Grenze von Alaska, noch auch beispielsweise in dem San Juan-Wasserstreit haben sie auf die Monroedoktrin zurückgegriffen.

Man kann deshalb sagen, die Monroedoktrin habe ihre Rolle eines Hilfsmittels zur Abwehr von Angriffen, die gegen die Vereinigten Staaten unmittelbar selbst gerichtet sind, tatsächlich ausgespielt.1)

Im Gegenteil: Sie ist zu einem Mittel häufiger Herstellung von politischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und nichtamerikanischen Mächten geworden, und ihr zu Liebe haben die Vereinigten Staaten sich geradezu diplomatische Erörterungen und Streitereien mit nichtamerikanischen Mächten geschaffen, oder sie sind in den Streit solcher Mächte mit amerikanischen Staaten eingetreten.

Die Monroedoktrin hat die Verwirklichung der Idee der Isolation der Vereinigten Staaten nicht nur nicht gefördert, sondern sie hat ihr sogar widerstrebt.

Übrig geblieben von jenem Isolationsgedanken ist die Abschließung der anderen amerikanischen Staaten vor angeblichen politischen Ambitionen nichtamerikanischer Nationen, die sich auf das Gebiet und die politische Entschließungsfreiheit jener erstrecken.

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Die Verteidiger der Monroedoktrin behaupten demgegenüber ein unverändertes Fortbestehen des alten, defensiven Grundes für ihr Bestehen.

Ihre Gegner werfen ihr vor, daß sie sich von einer defensiven zu einer agressiven Maßnahme umgewandelt habe. Sie behaupten, daß die Monroedoktrin für den amerikanischen Imperialismus ein bequemes Mittel dazu sei, den Vereinigten Staaten das übrige Amerika als ein willkommenes Feld späterer politischer Betätigung sei es für den Erwerb weiteren politischen Einflusses, sei es für weitere Expansion offen zu halten.

Sie sind dabei in der Lage, auf den Expansionszug jener Republik nach dem Süden hin, auf ihre gelegentlichen Wünsche gen

1) Vergl. hier z. B. Harts Bemerkung in,,Proceedings usw." XXXII, S. 755 ,,Paradoxically, the Monroe Doctrine has always applied less to other parts of America than to the United States itself."

Canada, auf ihre väterliche Haltung gegenüber den übrigen amerikanischen Staaten und ihren überragenden Einfluß auf deren Geschicke und Entschließungen hinzuweisen.

Je lauter diese Vorwürfe werden, desto lauter werden auch die Gegenversicherungen der Vereinigten Staaten: Alles, was dieses Land über den Schutz und die Erhaltung seiner eigenen unverletzten Existenz hinaus wünscht und erstrebt, ist, seine Nachbarstaaten stetig, wohlverwaltet und gedeihend zu sehen.1)

Feststeht bei diesem Widerstreit der Meinungen, daß unter der Monroedoktrin der Einfluß der Vereinigten Staaten in dem übrigen Amerika und der Ausschluß fremden Einflusses dort überraschend glücklich gewachsen ist und zwar so, wie er ohne die Monroedoktrin und bei freier Konkurrenz zwischen den Vereinigten Staaten und anderen nichtamerikanischen Mächten nicht gewachsen sein würde.2)

Man wird ferner auch kaum bestreiten können, daß jenem Gedanken des Schutzes des unverletzten Bestandes der Vereinigten Staaten, wenn er nicht beseitigt ist, zwei weitere Gedanken wenigstens zur Seite getreten sind:

Das ist einmal der, die Monroedoktrin sei ein Mittel, den ungestörten Fortschritt und die Weiterentwicklung des Wohlstandes der Vereinigten Staaten zu sichern und zu schützen.

Dies ist wiederholt von amerikanischer Seite selbst zugestanden worden. Man erinnere sich hier nur beispielsweise an die Worte des Präsidenten Polk: „Kürzlich haben einige von Ihnen die Doktrin eines Gleichgewichts der Kräfte auf diesem Kontinente zur Hemmung unseres Fortschrittes aufs Tapet gebracht", eine Tatsache, gegen die er dann die Monroedoktrin ins Feld führt.3)

Man denke ferner an die bezeichnenden Worte des Präsidenten Grant in seiner Botschaft vom 31. Mai 1870, in der er die Annektierung von Santo Domingo empfahl und dabei sagte:,,Der Erwerb von San Domingo ist eine Befolgung der Monroedoktrin; er ist eine Maßnahme nationalen Schutzes. Er bedeutet die Geltendmachung unseres gerechten Anspruches auf einen kontrollierenden

1) Roosevelts Botschaft vom 6. XII. 1904, abgedruckt For. Rel. 1904, XLI.

2) Den Gedanken, die Hegemonie der Vereinigten Staaten in Amerika sei nicht mit der Monroedoktrin zu vermengen, spricht besonders energisch Alvarez aus, vor allem vergl. A. J., III S. 314.

3) Siehe oben S. 90.

Einfluß über den großen Handelsverkehr, der bald vom Osten nach dem Westen über den Isthmus von Darien strömen wird." 1) Solche Worte wollen, wenn nicht mehr, mindestens so viel sagen: Die Monroedoktrin ist dazu bestimmt, dem Fortschritte amerikanischen Handels zu dienen.

Und endlich denke man noch beispielsweise an die Kanalpolitik der Vereinigten Staaten, die mit dem Gedanken einer Verteidigung des unverletzten Bestandes dieser Nation doch in der Tat nur unzureichend motiviert erscheint.

Der zweite neu aufgetretene Gedanke ist der, daß die Monroedoktrin die unter ihr so glücklich gedeihende Suprematie der Vereinigten Staaten in Amerika aufrecht zu erhalten und zu schützen die Aufgabe habe.

Daß eine solche Suprematie der Vereinigten Staaten über die anderen amerikanischen Republiken tatsächlich besteht und dauernd wächst, wird von niemandem, weder von Gegnern noch von Anhängern der Monroedoktrin bestritten2). Und für die Begründung der Monroedoktrin mit ihr bildet fast jedes mit der Monroedoktrin in Verbindung stehende Staatsdokument, zumindestens seit dem Venezuela-Grenzstreite, einen Beleg. Geht doch sogar Roosevelt so weit, auf dieses Verhältnis der Suprematie eine Pflicht der Vereinigten Staaten gegenüber den übrigen amerikanischen Republiken zu eventuellen Hilfeleistungen zu begründen.3)

Wenn wir hiernach auf den gesamten geschichtlichen Verlauf der Monroedoktrin zurückblicken und das Ergebnis der bisher angestellten Untersuchungen in eine kurze Formel zusammenfassen, so können wir mit folgenden Sätzen abschließen:

Die Monroedoktrin in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist dazu bestimmt, dem Schutze der gedeihlichen Fortentwicklung von Wohlfahrt und Suprematie der Vereinigten Staaten in Amerika, sowie nach amerikanischer Anschauung zugleich auch der Erhaltung ihres unverletzten Bestandes zu dienen.

Sie ist ein aus diesen Gründen aufrecht erhaltenes, von den Vereinigten Staaten aus

) Siehe oben S. 141.
2) Siehe unten S. 396 ff.
3) Siehe oben S. 227 f.

gehendes und ihnen gegenüber bestehendes, unter Androhung gewaltsamer Durchsetzung im Falle seiner Nicht beachtung erlassenes Verbot an die nichtamerikanische Staatenwelt.

Dieses Verbot richtet sich gegen jede von nichtamerikanischer Seite ausgehende Handlung, die nach Ansicht der Vereinigten Staaten dazu geeignet ist, mittelbar oder unmittelbar einem nichtamerikanischen Staate in bezug auf amerikanisches Gebiet, das nicht zu den Vereinigten Staaten gehört, politische Macht zu geben oder zu vermehren.

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