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Viel drastischer ist die durch den Artikel II des Pariser Friedensvertrages erfolgte Übertragung von Porto Rico sowie der am Südende der Marianen gelegenen Insel Guam und vor allen Dingen der Philippinen an die Vereinigten Staaten.

Die Zession dieser Inselbesitzungen, am Ende des Krieges und als Ersatz für die Kriegsentschädigung, zu deren Zahlung Spanien nicht imstande gewesen wäre, ist inhaltlich, obgleich sie sich formell als ein Rechtsgeschäft auf der Grundlage gegenseitiger Willenseinigung der Parteien vollzog, ebenso sehr ein Gewaltakt wie die Befreiung Cubas.

Als die Vereinigten Staaten zu dem Kriege mit Spanien schritten, drohte keine fremde Einmischung in cubanische Verhältnisse, die etwa wie bei der Dominikanischen Schuldenangelegenheit die Rechtfertigung einer Intervention der Vereinigten Staaten zum Zwecke, einer Verletzung des ersten Unterprinzips der Monroedoktrin zuvorzukommen, mit der Monroedoktrin abgeben könnte.

Ebensowenig liegt ein Anhaltspunkt dafür vor, die Monroedoktrin habe eine Ausdehnung dahin erfahren, daß sie nunmehr die Berechtigung der Vereinigten Staaten behaupte, nach ihrem Ermessen Eingriffe zur Ordnung zerrütteter politischer Zustände in Amerika vorzunehmen. Und wer eine derartige Meinung ausspricht, verkennt völlig die sachlichen Herrschaftsgrenzen der Monroedoktrin.1)

ein Protektorat der Vereinigten Staaten an; Wheaton-Atlay, S. 66 f. meint, Cuba sei ein protegierter Staat besonderer Art, und endlich Whitcomb,,La Situation International de Cuba (1905) Cap. V, ist der Ansicht, Cuba sei ein teilsouveräner Staat.

1) Pétin, S. 360 ff., dessen tüchtiges Buch unter einem Mangel an scharfen Abgrenzungen leidet, behauptet auf S. 360, die Vereinigten Staaten hätten zwar den Buchstaben der Monroedoktrin verletzt, sie aber ihrem Geiste nach bei ihrem Vorgehen angewendet. Verletzt gewesen sei sie durch den von Spanien in Cuba eingeführten,,despotisme à la Turque". Die Vereinigten Staaten hätten den Krieg an Spanien erklärt, weil Spanien ihrem Verlangen gütlich nicht nachgekommen sei, dort ein mit der Monroedoktrin übereinstimmendes Régime herzustellen. Die Kriegserklärung sei erfolgt, um Spanien zur Reflektierung der Monroedoktrin zu zwingen.

Beaumarchais unterscheidet eine ursprüngliche Monroedoktrin, die in ihrem Charakter defensiv gewesen sei und eine Monroedoktrin,,seconde Manière". Diese letztere sei offensiv, ihre Formel sei: „L'Amérique aux Etats-Unis“, (siehe besonders S. 91-95). Er behauptet S. 145:,,La Doctrine de Monroe,,seconde manière" a trouvé dans l'affaire de Cuba sa dernière et sa plus aggressive interprétation.....

Der am häufigsten vorgebrachte Rechtfertigungsgrund für das Verhalten der Vereinigten Staaten Spanien gegenüber in dieser Angelegenheit ist vor allem,,das Interesse der Menschlichkeit".1)

So erklärte insbesondere Präsident Mc Kinley in seiner Botschaft vom 11. April 1898 folgendes: 2)

,,Die Gründe für solche Intervention mögen kurz in folgendem zusammengefaßt werden:

Erstens: In der Sache der Menschlichkeit und um den Barbareien, dem Blutvergießen, der Hungersnot und dem entsetzlichen Elend ein Ende zu machen, die die streitenden Parteien entweder nicht enden oder mildern können oder nicht wollen. Es ist keine Antwort, zu sagen: das gehe alles in einem andern Lande vor sich, das zu einer andern Nation gehöre und sei deshalb nicht unsere Sache. Im Gegenteil, es ist ganz besonders unsere Pflicht, weil es sich gerade vor unserer Tür abspielt." 3)

1) Vergl. hier besonders die Ausführungen darüber in Sen. Rep. Nr. 885, 55. Cong. 2. sess. (Bd. V 1897-1898), XIII ff.; vergl. ferner Hershey, S. 154; MacFarland, The right of the United States to intervene in Cuba" in Albany Law Journal vom 30. April 1898, Bd. LXII S. 278 ff.; Moore, Dipl. S. 142; Woolsey, Am. Dipl. besonders S. 61 ff. und 71 ff.; Westlake, I S. 307. 2) Siehe oben S. 334.

3) Die betreffende Stelle lautet vollständiger in Englisch folgendermaßen! The grounds for such intervention may be briefly summarized as follows: First. In the cause of humanity and to put an end to the barbarities, bloodshed, starvation, and horrible miseries now existing there, and which the parties to the conflict are either unable or unwilling to stop or mitigate. It is no answer to say this is all in an other country, belonging to an other nation, and is therefore none of our business. It is specially our duty, for it is right at our door."

Second. We owe it to our citizens in Cuba to afford them that protection and indemnity for life and property which no government there can or will afford, and to that end to terminate the conditions that deprive them of legal protection. Third. The right to intervene may be justified by the very serious injury o the commerce, trade, and business of our people, and by the wanton destrection of property and devastation of the island.

Fourth, and which is of the utmost importance. The present condition of affairs in Cuba is a constant menace to our peace, and entails upon this government an enormous expense. With such a conflict waged for years in an island so near to us and with which our people have such trade and business relations; when the lives and liberty of our citizens are in constant danger and their property destroyed and themselves ruined; where our trading vessels are liable to seizure and are seized at our very door by warships of a foreign nation, the expeditions of filibustering that we are powerless to prevent altogether, and the irritating questions and entanglements thus arising all these and others that I need not mention, with the resulting strained relations, are a constant menace to our peace, and compel us to keep on a semiwar footing with a nation with which we are at peace."

Vergl. hier auch das Schreiben des Präsidenten der Vereinigten Staaten an den Herzog von Almadova del Rio vom 30. Juli 1898, worin als Antwort auf die Bitte um Frieden vom 22. Juli 1898 die Friedensbedingungen mitgeteilt werden und das Verhalten der Vereinigten Staaten ausführlich gerechtfertigt wird. (For. Rel. 1898, S. 820 ff.)

Kraus, Monroedoktrin.

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Nirgends dagegen erscheint in den Regierungsäußerungen, die anläßlich dieser Angelegenheit ergangen sind, ein Versuch, den Widerspruch zwischen Monroedoktrin und der Haltung der Vereinigten Staaten zuzudecken.

Ob und wieweit ihr Vorgehen sich mit völkerrechtlichen Grundsätzen rechtfertigen läßt, steht hier ebensowenig wie dessen Weisheit zur Frage.

Das zweite Unterprinzip der Monroedoktrin, das hier einschlägt, ist nicht lediglich eine Versicherung der Vereinigten Staaten, sich rechtswidriger Interventionen enthalten zu wollen. Wenn in ihm die feierliche Versicherung enthalten ist, die Vereinigten Staaten wollten sich nicht um die bestehenden Kolonien europäischer Mächte kümmern, so heißt das, auch wenn man es in seinem allerengsten Sinne nimmt: Die Vereinigten Staaten wollen in keinem Falle und unter keinen Umständen zu Interventionen in solche Kolonien schreiten, gleichgültig, ob sie dazu völkerrechtlich berechtigt wären oder nicht.

Ein deutlicheres und schärferes Sichbekümmern um Spaniens Kolonien als die Wegnahme des bedeutungsvollen Restes derselben ist nicht denkbar. Dies umsomehr, als die Vereinigten : Staaten mit dieser Wegnahme über die unmittelbar von ihnen als notwendig verfolgten Zwecke hinausgingen, in dem sie sich mit Guam, Porto Rico und den Philippinen den größeren Teil des damaligen spanischen Kolonialbesitzes zueigneten.

Das Verhalten der Vereinigten Staaten Spanien gegenüber in dieser Angelegenheit ist eine überaus drastische und anschauliche Nichtbefolgung des zweiten Unterprinzips der Monroedoktrin.1)

1) Es fehlen natürlich nicht die entgegengesetzten Meinungen. So erklärt z. B. Dunning, S. 37 f, es sei bei der ersten Verkündung der Monroedoktrin gegenüber der Einräumung der Vereinigten Staaten, sich nicht in die Angelegenheiten irgend einer europäischen Kolonie auf der westlichen Hemisphäre kümmern zu wollen, notwendigerweise das Recht des Schutzes ihrer eigenen Interessen vorbehalten geblieben. Und hiermit rechtfertigt er die cubanische Intervention. Hershey, Ann. Am. A c. Pol. and Soc. Sc., Bd. XI (1898) S. 73 erklärt:,,Surely the spirit of the Monroe doctrine which was expecially launched against the introduction of oppressive and despotic government on this hemisphere, may be invoked to justify intervention against Spain in behalf of Cuba by the recognition of her independence."

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Taylor, N. A m. Rev. CLXVI, S. 628, verteidigt die Intervention in Cuba mit,,Selbstverteidigung“ und zugleich (!) mit der Monroedoktrin.

Vergl. auch Pfeffer, A Republic in the Philippines, N. Am. Rev., März 1899, S. 317. Er erklärt, die Annexion der Philippine n sei nicht gegen

4. Gegenstandslosigkeit des zweiten Unterprinzips.

a) Die Weltpolitik der Vereinigten Staaten; insbesondere amerikanischer Imperialismus.

Blickt man auf diese historische Reihe zurück, so kann man sagen, daß die Vereinigten Staaten fortdauernd dem Wortlaute wie dem Geiste des zweiten Unterprinzips der Monroedoktrin zuwidergehandelt haben, und zwar im Jahre 1898 mit nicht zu übertreffender Schärfe.

Kann trotzdem noch von dessem Fortbestehen geredet werden?

Für die Entscheidung dieser Frage scheinen die folgenden Tatsachen besonders wichtig zu sein:

Mit der Umbildung der Vereinigten Staaten aus einem jungen und schwachen Staatswesen zu einer starken, selbstbewußten Weltmacht wurde der Entstehungsgrund der Monroedoktrin, die Besorgnis für den unverletzten Bestand der Vereinigten Staaten, gegenstandslos.

Ihre Politik trat in eine neue Etappe, in die Etappe des Imperialismus ein.1),,Der nordamerikanische Imperialismus beansprucht", wie von Liszt 2) dies ausgedrückt hat,,,seit dem siegreichen Kriege mit Spanien die Wahrung der Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten in den Welthändeln".

Dieser Imperialismus hat zur Erweiterung des Betätigungsfeldes des stets regen Expansionstriebes der Vereinigten Staaten geführt, die räumlich jetzt fünfmal so groß sind als zu Anfang ihres Bestehens.

Bis 1898 beschränkte sich dieser Ausdehnungstrieb im wesentlichen auf das amerikanische Festland und zeitigte nur hier tatsächliche Ergebnisse, von dem Louisiana-Kaufe zum Erwerbe von

die Monroedoktrin gewesen, denn diese sage nichts über Acquisitionen durch die Vereinigten Staaten. Dieses ist ein Musterbeispiel des Nichtverstehens von Sinn und Wortlaut der Monroebotschaft und der Ideen der Monroedoktrin.

Vergl. endlich auch Holls, Am. Monthly Rev. of Rev., Bd. XX (1899) S. 563. Er bezeichnet die Behauptung:,,that the taking possession of the Philippine Islands has in any way modified the reciprocal policy of the United States and Europeen powers with reference to questions purely Europeen or purely America als eine ,,curious contention".

1) Aus der Unmasse von Büchern und Artikeln über den amerikanischen Imperialismus vergl. statt anderer die ruhigen und würdigen Ausführungen John Bassett Moores in: Four Phases, Lecture III und IV.

2) S. 65.

Florida, zu der Wegnahme Californiens und New Mexikos von Mexiko im Frieden von Guadalupe-Hidalgo vom 20. Februar 1848 in Verbindung mit dem Gadsden-Vertrag vom 30. Dezember 1853 1) und schließlich zur Wegnahme des Panamakanalstreifens von Colombia durch den mit dessen revoltierender Provinz Panama vorzeitig abgeschlossenen Hay-Varilla-Vertrags vom 18. November 1903.2) Der alte Standpunkt.

Achlieszlich

Diese Beschränkung war ein neben der Monroedoktrin bestehender Grundsatz der Politik der Vereinigten Staaten gewesen. Frelinghuysen und der Erwerb von La Fortune. (Fortune Insel).

Staatssekretär Frelinghuysen hatte diesen Standpunkt in einem Schreiben vom 20. Juni 1885 an Mr. Langston besonders deutlich ausgedrückt, in dem er den Vorschlag des Präsidenten von Haïti Salomon auf Abtretung der Insel La Fortune an die Vereinigten Staaten ablehnte.

Er bemerkte dort:

die

,,Die Politik dieser Regierung, wie sie früher bei mannigfachen Gelegenheiten erklärt worden ist, hat sich dahin bewegt, Besitzungen, Hauptkontinente entfernt sind, zu vermeiden. Wäre es die Tendenz der Vereinigten Staaten gewesen, Gebietsherrschaft über dazwischenliegende Gewässer auszudehnen, so hätten die Gelegenheiten zur Ausführung einer derartigen Absicht nicht gefehlt, sei es an der Küste von Afrika, in den westindischen Inseln oder im südlichen Stillen Ozean." 3)

Cleveland und die Kongokonferenz,

Auch Präsident Cleveland hatte sich während seiner ersten Administration zu diesem Standpunkte bekannt. Der Anlaß dazu ergab sich aus folgendem:

Die Vereinigten Staaten hatten zur Kongokonferenz des Jahres 1885 ihrerseits Vertreter entsandt. Diese waren jedoch dahin angewiesen worden, sich auf eine Teilnahme an den Be

1) Vertrag von Guadalupe Hidalgo: Martens, N. R. G., XI S. 387, XIV S. 7; Gadsden-Vertrag eod. 2. Ser., I S. 1.

2) Zu den oben erwähnten Ereignissen vergl. für Louisiana und Florida oben S. 60 ff.; für Hay-Varilla-Vertrag oben S. 211 f.

3) M S. Inst., Haiti, II S. 339 (M., I S. 432). Die unterstrichene Stelle ist im Original nicht hervorgehoben. Der englische Text dieser Stelle lautet folgendermaßen:

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