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Im Hinblick auf dieses Dilemma, in dem die Vereinigten Staaten sich befinden, müssen sie entweder ihre gewohnte Haltung der Nichtintervention in solchen Fällen beibehalten - eine unter normalen Umständen angemessene Haltung, die aber unter diesen besonderen Verhältnissen zum Nachteile ihrer Bürger gegenüber denjenigen anderer Staaten führt oder sie müssen, um mit ihrer Politik in Übereinstimmung zu bleiben, aktiv intervenieren, um die Verträge und Konzessionen ihrer in Ackerbau, Handel und Transportgeschäften in Konkurrenz mit den Bürgern und Untertanen anderer Länder begriffenen Bürger zu schützen."

Und ferner:

Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten es ablehnt, Schritte zu ergreifen, und andere ausländische Regierungen ergreifen Maßnahmen zur Sicherung der Zahlung ihrer Ansprüche, so würden die letzteren nach der Entscheidung des Haager Hofes in den Venezuelafällen zur vorzugsweisen Begleichung ihrer Ansprüche berechtigt sein; und das würde alle dominikanischen Revenuen verschlingen und würde ein virtuelles Aufopfern amerikanischer Forderungen und Interessen in bezug auf diese Insel bedeuten."

Roosevelt erklärt also den Abschluß des Arrangements mit der Dominikanischen Republik als den Ausweg aus einem durch die Haager Entscheidung über die ,,Vorzugsrechte" geschaffenen Dilemma zwischen einer Gefährdung der Rechte ihrer Untertanen zu Ungunsten derjenigen anderer Staaten und ihrer traditionellen Verwerfung von Interventionen zur Beitreibung von Ansprüchen ihrer Untertanen von fremden Staaten.

Dieser Gedanke erscheint in seiner Botschaft jedoch deutlich als ein besonderer Rechtfertigungsgrund für das Verhalten der Vereinigten Staaten in der dominikanischen Schulden-Angelegenheit. Er steht selbständig neben demjenigen Rechtfertigungsgrunde, der sich auf die Monroedoktrin stützt.1)

Wenn danach die Stellungnahme der Vereinigten Staaten in diesem Falle auf die Monroedoktrin gegründet wurde, und wenn sie außerdem auch noch zugleich tatsächlich den von Drago formulierten Wünschen genügte, so bedeutete das nur, daß in diesem

1) Siehe oben S. 224.

Einzelfalle die Forderungen von Dragodoktrin und Monroedoktrin sich deckten.

Keineswegs jedoch kann das Verhalten der Vereinigten Staaten in der dominikanischen Schulden-Angelegenheit als eine zufolge der in dem Venezuelaschuldenfalle erhaltenen Lehren erfolgte Vereinigung von Monroedoktrin und Dragodoktrin angesehen werden.

d) Allgemeines Ergebnis.

Nach den vorstehenden Ausführungen kann man folgende Ergebnisse zusammenfassen:

Die Vereinigten Staaten haben bisher die Anwendung der Monroedoktrin auf solche Fälle durchweg verneint, in denen nichtamerikanische Mächte von amerikanischen die Erfüllung internationaler Verbindlichkeiten zu erzwingen unternahmen, die aber nicht als Versuche des Erwerbs politischen Machtzuwachses solcher nichtamerikanischen Mächte in Amerika in Betracht kamen.

Insbesondere haben sie es bisher abgelehnt, den sachlichen Herrschaftsinhalt der Monroedoktrin um den Inhalt der Dragodoktrin (oder gar der weiteren Calvodoktrin) zu bereichern.

5. Das Verbot der Erweiterung politischer Macht
nichtamerikanischer Staaten in
Staaten in Amerika und der
Schiedsgerichtsbarkeitsgedanke.

Einführung.

Die Beschränkung der sachlichen Herrschaftsgrenzen des gegen den Zuwachs der Macht nichtamerikanischer Staaten in Amerika gerichteten ersten Unterprinzips der Monroedoktrin auf solche Handlungen, die als gefährliche unter dem Gesichtspunkte der Machtvermehrung in Frage kommen, drückt sich ebenfalls deutlich in der Haltung der Vereinigten Staaten zur Schiedsgerichtsbarkeitsfrage, wie gegenüber der nach dem Gebrauch anderer friedlicher Streitschlichtungsmittel aus.

Die Vereinigten Staaten haben für Schiedsgerichtsbarkeit, ebenso für gute Dienste und Vermittlung bekanntlich stets eine große Vorliebe gehabt.

Fälle.

Was gute Dienste und Vermittlungen anlangt, so haben sie sie ihrerseits häufig sowohl in Streitigkeiten amerikanischer Staaten untereinander als auch europäischer untereinander, wie zwischen amerikanischen und europäischen Staaten angewendet und haben die Monroedoktrin niemals gegen die Vornahme derartiger Maßregeln ins Feld geführt.

Es mag hier mit Beschränkung auf die besonderen Zwecke dieser Ausführungen kurz bei der Frage nach der Stellung der Vereinigten Staaten zum Schiedsgerichtsbarkeitsgedanken etwas verweilt werden.

Die Rolle des Schiedsrichters in europäischen Angelegenheiten haben die Vereinigten Staaten zwar nur ausnahmsweise und zögernd übernommen, wie später noch hervorzuheben sein wird.1) Dagegen haben sie pinzipiell niemals etwas gegen europäische Schiedsrichterschaft in amerikanischen Streitigkeiten einzuwenden gehabt.2)

Es liegen eine Reihe Fälle vor, in denen die Vereinigten Staaten sogar selbst in einem Streite mit einer amerikanischen Macht sich solchem Schiedsverfahren unterworfen haben.

So haben sie am 11. April 1839 mit Mexiko einen Schiedsvertrag geschlossen, durch den der König von Preußen zur Entscheidung über Indemnitätsansprüche amerikanischer Bürger gegen Mexiko zum Schiedsrichter bestimmt wurde.3)

Ein ebensolcher Streit zwischen ihnen und Chile wurde durch Vertrag vom 10. November 1858 der Entscheidung des Königs von Belgien unterworfen,4) der seinen Spruch am 15. Mai 1863 abgab.5)

Einen anderen Indemnitätsstreit, den sie wiederum mit Mexiko führten, entschied auf Grund eines Vertrages vom 27. November 1872 Sir Edward Thornton durch Spruch vom 16. April 1874.6)

1) Vergl. unten S. 313 f.

2) Vergl. oben S. 179 ff.

3) Vergl. hier Martens, N. R., XVI S. 624 ff., besonders Art. VII auf S. 630. Vergl. auch Calvo, III S. 445.

4) Martens, N. R. G., XVII, I S. 243 f.

) Calvo, III S. 442.

6) Derselbe 1. c. S. 447.

Und endlich mag beispielsweise darauf hingewiesen werden, daß der Streit der Vereinigten Staaten mit Chile um die Ansprüche der Firma Alsop & Co. durch Protokoll vom 1. Dezember 1909 dem englischen König als „,amiable compositeur" überwiesen wurde, der am 5. Juli 1911 seinen Spruch in der Sache abgab.1)

Was Streitigkeiten zwischen anderen amerikanischen Mächten anlangt, so mag außer auf den bereits oben erwähnten Grenzstreit zwischen Colombia und Venezuela,2) insbesondere auf einen Grenzstreit zwischen Colombia und Costa Rica hingewiesen werden.

Dieser Streit wurde durch Abkommen vom 25. Dezember 1880 3) dem König der Belgier, eventuell dem spanischen König zur Entscheidung übertragen. Der König von Belgien lehnte ab. Der spanische König Alfons XII. starb vor Abgabe des Spruches. Deshalb wurde durch den das Abkommen von 1880 etwas modifizierenden Vertrag vom 20. Januar 1886 erklärt,4) daß nunmehr die gegenwärtige Regierung von Spanien für die Entscheidung zuständig sei. Infolge von Streitigkeiten zwischen den Parteien geriet das Schiedsverfahren dann ins Stocken. Durch Schiedsvertrag vom 4. November 1896 5) wurde endlich der Präsident der französischen Republik zum Schiedsrichter ernannt, der am 11. September 1900 seinen Spruch abgab.)

In bezug auf diesen Streit hat die amerikanische Regierung übrigens im Jahre 1881 ausdrücklich erklärt, sie würde nicht eingreifen, um die Beendigung des Verfahrens zu hindern, noch werde sie ihre Meinung über die Annahme des Schiedsrichteramtes durch

1) Vergl. hier,,The Case of the United States of America for and in behalf of the original American Claimants in this Case.... Versus the Republic of Chile before His Majesty George V. usw. under The Protocoll of December 1, 1909, Washington, Gov. Print. Off.; Appendix to the Case of the United States usw., in 2 Bänden, Washington 1910; The Countercase of the United States of America usw., Washington 1910, Appendix to the Countercase usw., Washington 1910, Award, usw., Washington 1911 (Sonderabdruck des Auswärtigen Amtes).

2) Siehe auch oben S. 179 f.

9) For. Rel. 1881, S. 71.

Martens, N. R. G. 2. ser., XXXII S. 383.

5) Martens, N. R. G. 2. ser., XXV S. 62.

6) Martens, N. R. G. 2. ser., Bd. XXXII S. 411 ff.

Vergl. auch den Vertrag zwischen Costa Rica und Panama vom 17. März 1910 (Text Martens, N. R. G., 3. ser., Bd. V S. 678 ff.), wonach der oberste Richter der Vereinigten Staaten zum Schiedsrichter in der die Fortsetzung des oben genannten Streites bildenden Zankerei ernannt wurde.

den König von Spanien aussprechen.1) Staatssekretär Blaine erklärte allerdings andererseits auch, daß das Schiedsabkommen zum Gegenstand einer vorgängigen Mitteilung und Beratung mit den Vereinigten Staaten hätte gemacht werden sollen.

Er stützte dies aber auf die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten mit Neu-Granada (dem Rechtsvorgänger von Colombia) den oben erwähnten Garantievertrag von 1846 2) geschlossen habe, der die Vereinigten Staaten zum direkten Interessenten bei einem solchen Schiedsabkommen gemacht habe.3)

Erwähnt mag auch der Grenzstreit zwischen Chile und Argentinien werden, der auf Grund eines Schiedsvertrages vom 17. April 18964) durch den König von England am 20. November 1902 entschieden wurde.5)

Weiter gehört beispielsweise hierher der Schiedsspruch des Königs von Spanien in einem Grenzstreite zwischen Honduras und Nicaragua vom 23. Dezember 1906 auf Grund des Vertrages von Tegucigalpa vom 7. Oktober 1894.6)

Und endlich kann man hier auch den Grenzstreit zwischen Frankreich und Holland über die Grenze zwischen Französisch- und Holländisch-Guayana als den Streit zweier amerikanischer Kolonialmächte erwähnen. Dieser wurde laut Konvention vom 29. Januar 1888 7) dem russischen Kaiser zur Entscheidung übergeben, der seinen Schiedsspruch vom 13./25. Mai 1891 8) dahin abgab, daß der Awafluß die Grenze der beiden Kolonien sei. Die Vereinigten Staaten haben es weiterhin auch nicht für unvereinbar mit der Monroedoktrin gehalten, daß Streifragen über den Besitz amerikanischen Gebietes seitens nichtamerikanischer

1) For. Rel., 1881, Nr. 1057: Blaine an den Gesandten der Vereinigten Staaten Mr. Fairehild unter dem 25. Juni 1881.

2) Siehe oben S. 187.

3) Vergl. näheres zu dem Streite und die Stellung der Vereinigten Staaten dazu Moore, VI S. 29 ff. und die dort angeführten Nachweise; vergl. auch Moore, Arbitrations, S. 4857.

') Br. and For. State Papers, Bd. LXXXVIII S. 553 f.

5) Br. ana For. State Papers, Bd. XCV (1902-1903) S. 162 ff. Vergl. hier auch Alvarez, Des occupations des Territoires contestés usw. in R. G., Bd. X (1903) S. 651 ff.

6) Martens, 2. ser., Bd. XXXV S. 563 und Kohlers Zeitschr. II S. 362 ff.

7) Martens, N. R. G., 2. ser., Bd. XVI S. 730 und Bd. XVII S. 124. 8) Martens, N. R. G., 2. ser., Bd. XVIII S. 100 Bd. XXVII S. 136.

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