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Im Venezuela-Grenzstreite hingegen stellten sie das von England behauptete Vorliegen eines solchen alten Anspruches auf das zwischen ihm und Venezuela im Streite befindliche GuayanaGebiet in Zweifel und griffen deshalb auf Grund der Monroedoktrin ein.

Nach alledem stellt sich die tatsächliche Haltung der Vereinigten Staaten im Venezuela-Grenzstreit nicht als eine erweiterte Anwendung der Monroedoktrin dar.

Dies ist aber auch nicht der Fall mit den diplomatischen Auslassungen, zu denen diese Angelegenheit Anlaß gegeben hat. Die sachlichen Herrschaftsgrenzen der Monroedoktrin sind auch durch solche in keiner Weise erweitert worden.

Olneys Instruktion vom 20. Juli 1895.

In Frage könnte in dieser Beziehung vor allem die Instruktion kommen, die Staatssekretär Olney unter dem 20. Juli 1895 an den Botschafter der Vereinigten Staaten in England, Mr. Pauncefote, gesandt hat.1)

Diese Instruktion beginnt mit einer sehr ausführlichen und ruhig gehaltenen Darstellung der Geschichte des Grenzstreites zwischen Venezuela und England, die bis zu der Kongreßresolution vom 20. Februar 1895 geführt wird.

Olney faßt sodann die seiner Ansicht nach wichtigsten Punkte der bestehenden Lage in einer Übersicht zusammen. Er hebt dabei besonders die ein halbes Jahrhundert hindurch laufenden vergeblichen Versuche Venezuelas, den Streit zu einem freundschaftlichen Abschlusse und dessen 25 Jahre langen Anstrengungen, ihn zur Arbitration zu bringen, hervor und macht auf der andern Seite auf Englands fortwährende Weigerung, sich in Arbitration einzulassen, sowie auf die Bemühungen der Vereinigten Staaten um die Herbeiführung einer solchen Lösung aufmerksam.

Die Regierung der Vereinigten Staaten, so erklärt er, habe durch ihre Haltung der englischen sowie auch der Welt bewiesen, daß die Ehre und das Interesse der Vereinigten Staaten bei der

1) Siehe oben S. 159.

Und besonders den Abdruck im Anhange unten unter I Nr. 8.

Kontroverse mit im Spiele seien und daß sie deren Fortsetzung nicht mit Gleichgültigkeit ansehen könnten.

Die vorliegende Situation zeige, daß die verantwortlichen Leiter der Interessen der Vereinigten Staaten sich die Frage vorlegen müßten, ob und in welchem Umfange die Vereinigten Staaten in dem Streite zu intervenieren hätten.

Olney stellt die Frage, ob irgend welche Rechte oder Pflichten in dieser Beziehung auf den Vereinigten Staaten lasteten und beantwortet sie mit Ja.

Zur Begründung dieser Ansicht unterzieht er die Monroedoktrin einer höchst ausführlichen, zum Teil völlig akademischen Betrachtung.

Er spricht von ihrer Entstehungsgeschichte, erklärt, derjenige Teil der Monroedoktrin, der es ausspreche, daß Amerika nicht mehr offen für europäische Kolonisation sei, sei nunmehr längst zugegeben. Es handle sich demgemäß hier nur noch um die gegen europäisches Eingreifen in amerikanische Verhältnisse gerichteten Bemerkungen der Monroedoktrin. Er geht dann dazu über, deren genauen Umkreis und Grenzen zu bestimmen, die, wie er sagt, nicht klar genug begriffen werden könnten.

Er führt dazu zuerst insbesondere aus, das kein allgemeines Protektorat der Vereinigten Staaten über die amerikanischen Nationen bestehe. Er meint ferner, daß die Monroedoktrin auch nicht irgend einen amerikanischen Staat davon befreie, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, noch daß sie eine europäische Macht davon abhalte, derartige ihr gegenüber bestehende Verbindlichkeiten zu erzwingen, oder es verbiete, den Bruch derartiger Verpflichtungen zu bestrafen.

Er meint, die in Frage kommende Regel habe nur eine Aufgabe, nämlich:

,,Keine europäische Macht oder Vereinigung europäischer Mächte soll gewaltsam einen amerikanischen Staat des Rechts berauben, sich selbst zu regieren und für sich selbst seine eigene politische Bestimmung und Zukunft zu gestalten."

Er versichert im weiteren Verlauf seiner Ausführungen wie dies dann in entsprechender Weise ja auch von Cleveland ausführlicher getan worden ist 1), daß die Monroedoktrin seit

1) cf. oben S. 160 ff.

ihrer Verkündung,,das angenommene öffentliche Recht dieses Landes" sei. Ihr sei vom Kongreß der Vereinigten Staaten stillschweigende Sanktion gegeben worden. Jede Verwaltung seit Monroe habe sie geprüft und sie begeistert bestätigt.

Olney führt sodann einige Fälle für ihre praktische Wirksamkeit auf, um darauf zu Beispielen ihrer Ausdehnung überzugehen. Dabei spricht er zunächst von Polks Verhalten in dem Yukatanfalle, sowie von Grants Standpunkt, daß Kolonien, die ihre bestehenden Beziehungen wechseln, frei zu werden hätten und fährt fort:

,,Eine andere Entwicklung der Regel, die allerdings weder von ihrem Buchstaben noch von ihrem Geiste notwendig gefordert wird, ist in dem Widerspruche gegen Arbitration südamerikanischer Streitigkeiten durch eine europäische Macht gefunden worden. Es wird gesagt, amerikanische Fragen unterliegen amerikanischer Entscheidung, und aus diesem Grunde gingen die Vereinigten Staaten so weit, die Vermittelung im Kriege zwischen Chile und Peru gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich zu verweigern. Endlich widersetzte sich Staatssekretär Bayard unter anderem aus dem Grunde, daß die Monroedoktrin und das Ansehen der Vereinigten Staaten als ihrem ,,Exponenten und Sponsor" ernstlich geschmälert werden würde, eifrig der Durchsetzung der Pelletierklage gegen Haïti."

Nachdem er diese Ausführungen gemacht, geht er zur eigentlichen Rechtfertigung der Monroedoktrin selbst über. Dabei hebt er insbesondere die weite Entfernung zwischen Europa und Amerika hervor, welche jede dauernde politische Vereinigung zwischen beiden unmöglich mache. Er betont fernerhin die von Washington in seiner Abschiedsbotschaft erwähnte Verschiedenheit der gegenseitigen Interessen, führt als Argument auch den Unterschied der hier und dort vorherrschenden Regierungsformen an und stellt die Frage, ob denn die Sicherheit und Wohlfahrt der Vereinigten Staaten so sehr mit der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit jedes amerikanischen Staates verbunden sei, daß sie das Eingreifen der Vereinigten Staaten rechtfertigten und erforderten, wenn immer diese Unabhängigkeit gefährdet sei. Auch hier gibt es für ihn nur eine Antwort: Die Vereinigten Staaten haben ein vitales Interesse an der Sache der Selbstregierung des Volkes.

Er gelangt dann im Verlaufe seiner Ausführungen zu dem folgenden höchst charakteristischen Ausspruche:

,,Die Vereinigten Staaten sind heute tatsächlich souverän auf diesem Kontinent und ihr ,,fiat" ist Gesetz in bezug auf die Angelegenheiten, auf die sie ihr Eingreifen erstrecken. Warum? Es ist, weil, neben allen andern Gründen, ihre unbegrenzten Hilfsquellen, verbunden mit ihrer isolierten Stellung sie zum Herrn der Lage und tatsächlich unverletzbar gegen eine oder alle anderen Mächte machen.

Alle Vorteile dieser Überlegenheit sind sofort gefährdet, wenn das Prinzip zugelassen wird, daß europäische Mächte amerikanische Staaten zu ihren Kolonien oder Provinzen machen können. . . . Die aus einem solchen Zustand der Dinge sich ergebenden verderblichen Folgen für die Vereinigten Staaten liegen auf der Hand."

Nachdem er diese Gedanken noch weiter ausgeführt hat, geht er näher auf die Frage der Anwendbarkeit der Monroedoktrin auf den vorliegenden Grenzstreit ein.

Er führt dabei aus, es handle sich hier in diesem Grenzstreit zwar um eine Grenzlinie; aber da die Angelegenheit zwischen zwei Staaten spiele, so bedeute der Verlust politischer Kontrolle auf der einen Seite notwendigerweise den Gewinn solcher Kontrolle durch den andern Streitteil. Die Erklärung der Monroebotschaft, daß die Vereinigten Staaten sich nicht um bestehende europäische Kolonien in Amerika kümmern wollten, bezöge sich nur auf die damals bestehenden Kolonien und deren damalige Grenzen. Für die Anwendbarkeit jenes Satzes mache es lediglich einen formalen Unterschied, ob England sich venezuelanisches Land durch Erweiterung einer alten Kolonie zueigne statt durch Errichtung einer vollständig neuen.

Andererseits werde es ja allerdings nicht zugegeben, daß England sich Herrschaft über venezuelanisches Gebiet usurpiere, wie Venezuela das behaupte, und man könne demgemäß von dieser Tatsache auch nicht ausgehen.

Die Vereinigten Staaten hätten aber in jedem Falle das Recht, zu verlangen, daß die Wahrheit festgestellt werde. Daß eine konventionelle Beilegung unpraktisch sei, habe sich ergeben. Noch unmöglicher sei ein Appell zu den Waffen. Deshalb bleibe nur Arbitration übrig und zwar Arbitration der ganzen Streitfrage.

Olney schließt seine Ausführungen zur Sache folgendermaßen:

,,Unter diesen Umständen erscheint dem Präsidenten seine Pflicht unverkennbar und gebieterisch. Da Großbritanniens Versicherung eines Anspruchs auf das im Streit befindliche Gebiet, verbunden mit seiner Weigerung, diesen Anspruch untersucht zu sehen, sachlich eine Aneignung des Gebietes zu eigener Benutzung ist, so würde, wollten die Vereinigten Staaten es unterlassen zu protestieren und es zur Warnung auszusprechen, daß dies Vorgehen die Interessen des amerikanischen Volkes beeinträchtige, sowie in sich selbst unterdrückerisch sei, soviel bedeuten wie eine Nicht beachtung der feststehenden Politik, mit der die Ehre und die Wohlfahrt dieses Landes eng verbunden sind." Diese Instruktion erfreut sich größter Berühmtheit und Wertschätzung.

Cleveland geht so weit, ihr die folgende Bemerkung zu zollen: 1)

,,Die Monroedoktrin mag verlassen werden; wir mögen sie verwirken, indem wir das Los der Nationen wählen, die sich ausdehnen, unamerikanischen Wegen folgend, wir mögen über sie hinauswachsen, wie wir über andere Dinge, die wir einst schätzten, hinauszuwachsen scheinen; oder sie mag für immer als eine Schutzgarantie der Sicherheit in unserem Genusse freier Einrichtungen bestehen bleiben; aber unter keinen Umständen wird dieses amerikanische Prinzip jemals besser definiert, besser verteidigt oder tapferer behauptet werden, als es von Mr. Olney in dieser Depesche getan worden ist.“

Die Behauptung, daß diese Instruktion die beste Definition enthalte, die der Monroedoktrin je gegeben worden sei oder gegeben werden würde, erregt Widerspruch.

Tatsächlich scheint kein Staatsdokument mehr Verwirrung in die Anschauungen über den sachlichen Inhalt der Monroedoktrin gebracht zu haben, wie diese Instruktion.

Bei der Bedeutung und überragenden Autorität, die sie genießt, mag bei ihrer Kritik hier einen Augenblick verweilt werden. Wir übergehen dabei die Behauptungen, die sich auch in Clevelands Botschaft finden.

1) Praesidential Problems usw., S. 259. Vergl. auch Foster, S. 417.,,It constitutes the most complete and satisfactory statement of the Monroe doctrine thus far made."

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