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klausel nicht billigen könne.1) Er schlug demgemäß eine entsprechende Änderung des Vertrages vor. Auf diesem Standpunkte verharrte er auch gegenüber der Bemerkung Blancos, daß die englische Regierung doch gar nicht mehr in der Lage sei, den betreffenden Artikel einseitig aufzuheben, und obgleich Blanco ihn weiter daran erinnerte, er habe doch ausdrücklich erklärt, die von der vorausgehenden Regierung eingegangenen Verpflichtungen würden geachtet werden.2)

Am 7. Juni 1886 3) übersandte Earl Rosebery dem englischen Vertreter in Venezuela, Mr. F. R. St. John, ein Schreiben mit dem Auftrage, die von Granville in seinem Schreiben an Royas vom 15. September 1881 4) vorgeschlagene Grenzlinie der venezuelanischen Regierung zu unterbreiten. Durch Telegramm vom 25. Juni 1886 untersagte er aber dann die Vorlegung dieses Vorschlages und übersandte dafür dem Vertreter Venezuelas in London, General Blanco, unter dem 20. Juli 18865) einen wiederum völlig neuen Plan. Nach diesem Plan sollte das Gebiet innerhalb der von Señor Royas am 21. Februar 1881 und der von Granville am 15. September 1881 vorgeschlagenen Linien als der Streitgegenstand angesehen werden, und die Grenze sollte durch dieses Gebiet auf der Basis gleichmäßiger Teilung desselben gezogen werden.

Venezuela lehnte diesen Vorschlag, der beinah das ganze von ihm beanspruchte Gebiet an England überantwortet hätte, ab, und erbat wiederum aufs dringendste Schiedsverfahren.

Die nächte Etappe in dem langen Zwist bilden Vorstellungen und Klagen der venezuelanischen Regierung, daß England in Zuwiderhandlung des von ihrem Vertreter, Mr. Belfort H. Wilson, und ihres eigenen Vertreters, Señor Lecuna, im Jahre 1850 geschlossenen Abkommens fortdauernd den Status quo in diesem Gebiete verletze und fortfahre, mehr und mehr davon zu besetzen.")

1) Schreiben vom 27. Juli 1885; Salisbury an Blanco, Blaubuch 1. c. S. 351 und Co r r. 1896, S. 133. Dieser in der Diplomatie ungewöhnliche Schritt findet sich in dem eben angegebenen Schreiben in folgenden Worten:,,Her Majestys Government are unable to concur in the assent given by their precedessors in office to the general arbitration article proposed by Venezuela....

2) Blanco an Salisbury am 5. Aug. 1885, Blaubuch, l. c. S. 351.

3) eod. S. 354.

') eod. S. 356.

*) eod. S. 356.

") Vergl. oben S. 147.

Interessant sind in dieser Hinsicht insbesondere auch die Feststellungen, die Mr. Adee als Acting Secretary of State in einer Depesche gemacht hat, die

Venezuela erklärte andererseits, einen Leuchtturm bei Punta Barima, am Munde des Orinocoflusses, bauen zu wollen. Die englische Regierung bestritt ihm dazu unter Hinweis auf jenes Abkommen von 1850 zwischen Wilson und Lecuna das Recht, erklärte jedoch ihre Bereitwilligkeit, sich mit Venezuela über diesen Punkt in ein Sonderabkommen einzulassen. Einen Versuch, den Leuchtturm ohne ihre Einwilligung zu bauen, werde sie jedoch als einen Angriffsakt seitens Venezuelas ansehen, der ihr das Recht des Widerstandes gewähre. Außerdem verlangte sie von Venezuela die Abgabe einer schriftlichen Erklärung dahin, daß durch den Bau eines solchen Leuchtturmes die britischen Ansprüche auf das streitige Gebiet in keiner Weise beeinflußt werden sollten.1)

Der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten von Venezuela, Señor Urbanya, antwortete am selben Tage: 2) Er erklärte, dies sei das erstemal, daß die englische Regierung ihre Absichten auf den Orinocofluß enthülle, indem sie erkläre, Punta Barima bilde einen Teil des Streitgebietes.3) Er wiederholte im Namen des Präsidenten die Forderung, daß England das ganze von ihm unberechtigterweise besetzte Gebiet bis zum 20. Februar er als Zusatz zu der später noch zu besprechenden Instruktion Staatssekretär Olneys an Mr. Bayard vom 20. Juli 1895 unter dem 24. Juli 1895 an Bayard sandte. Diese Depesche, die sich in For. Rel. 1895, I S. 562 findet, lautet:

,,In Mr. Olney's Instruction Nr. 804, of the 20th instant, in relation to the Anglo-Venezuelan boundary-dispute, you will note a reference to the sudden increase of the area claimed for British Guiana, amounting to 33 000 square miles, between 1884 and 1886. This statement is made on the authority of the British publication entitled the Statesman's Year Book.

I add for Your better information that the same statement is found in the British Colonial Office List, a government publication.

In the issue for 1885 the following passage occurs, on page 24, under the head of British Guiana:

It is impossible to specify the exact area of the colony, as its precise boundaries between Venezuela and Brazil respectively are undetermined, but it has been computed to be 76 000 square miles.

In the issue of the same List for 1886, the same statement occurs, on page 33, with a change of area to,,about 109 000 square miles."

The official maps in these two volumes mentioned are identical, so that the increase of 33 000 square miles claimed for British Guiana is not thereby explained, but later Colonial Office List maps show a varying sweep of the boundary westward into what previously figured as Venezuelan territory, while no change is noted on the Brazilian frontier."

1) Vergl. F. R. St. John an Lord Iddesligh unter dem 7. Dez. 1886, Blaubuch, 1. c. S. 373. Die Antwort vom 12. Jan. 1887, eod. S. 387, sowie John an Señor Urbanya unter dem 31. Jan. 1887, Blaubuch, eod. S. 393.

2) Vergl. eod. S. 394.

3) Irrtum: vergl. Salisburys Vorschlag vom Jahre 1880 (oben S. 148).

1887 verlasse. Er fügte hinzu, daß, falls dies nicht geschehen sollte und die Evacuation nicht mit der Annahme des Schiedsvorschlages begleitet sein sollte, die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Regierungen abgebrochen würden und Venezuela formellen Protest erheben werde.

Da England nichts dergleichen tat, so suspendierte Venezuela unter dem 20. Februar 1887 seine diplomatische Beziehungen mit England. Dieses Vorgehen begleitete Señor Urbanya mit dem folgenden Protest: 1)

(Venezuela . . .),,protestiert gegenüber der Regierung Ihrer Britischen Majestät, gegenüber allen zivilisierten Nationen, gegenüber der ganzen Welt gegen den Raubakt, den die Regierung von Großbritannien zu Venezuelas Schaden begangen hat und den Venezuela niemals und unter keinen Umständen als geeignet anerkennen wird, auch nur im geringsten die Rechte zu beeinträchtigen, die es von Spanien erworben hat, und bezüglich deren sie jeder Zeit bereit sein wird, sich der Entscheidung einer dritten Macht, als dem einzigen Wege zu einer mit ihren Verfassungsprinzipien vereinbaren Lösung, zu unterweifen.“

Im Jahre 1890 versuchte Venezuela seine diplomatischen Beziehungen mit England wiederherzustellen.2)

Lord Salisbury 3) erklärte darauf, die englische Regierung könne in dem Grenzstreit kein Arrangement als zufriedenstellend annehmen, das nicht den britischen Titel zu dem Territorium innerhalb der von Sir Robert Schomburgk im Jahre 1841 gezogenen Grenzen zulasse. Sie werde dagegen bereit sein, die Ansprüche Englands auf gewisse Gebiete westlich dieser Linie zur Schiedssprechung zu verweisen. Also, wie dies in einem englischen Memorandum vom 19. März 1890 ausführlicher dargelegt ist: keine Arbitration des von der Schomburgk-Linie umfaßten Gebiets; Arbitration desjenigen, das von den äußersten englischen An

1) eod. S. 401 ff., besonders S. 404; vergl. auch die Wiederholung dieses Protestes an das diplomatische Corps in einem Zirkular vom 15. Juni 1888, eod. S. 407 f. und Zirkular an das diplomatische Corps in Carácas und die Minister für auswärtige Angelegenheiten, der mit Venezuela auf freundlichem Fuße stehenden amerikanischen Republiken vom 29. Okt. 1888, eod. S. 408.

2) Vergl. besonders die Benachrichtigung darüber von Urban y a an Salisbury, Schreiben vom 10. Jan. 1890, eod. S. 409.

3) Promemoria zum Schreiben des Britischen Auswärtigen Amts an Urbanya vom 10. Febr. 1890, eod. S. 410.

sprüchen umfaßt wird!1) Dieser Vorschlag, der wiederum die englischen Ansprüche wesentlich modifizierte, wurde von Venezuela abgelehnt.

Nach langen, fruchtlosen Verhandlungen gab dieses endlich den Versuch auf, mit England zu einer Einigung zu gelangen. Señor Michelana sandte unter dem 29. September 1893 von Paris aus an die englische Regierung ein Schreiben, in dem er nochmals. den Standpunkt von Venezuela zusammenfaßte und mit einem erneuten feierlichen Protest schloß.2)

Damit waren die Versuche Venezuelas, die Angelegenheit gütlich beizulegen, beendet, und der Streit ging aus seinen Händen in die der Vereinigten Staaten über.

Es war zum Verständins der Haltung der Vereinigten Staaten notwendig, den Gang der Dinge verhältnismäßig breit zu schildern.

Überblickt man ihn im Zusammenhang, so zeigt sich auf der Seite Venezuelas ein stetiges Nachsuchen und Bitten um gütlige Beilegung des Streites auf dem Wege eines Kompromisses oder durch einen unparteiischen Schiedsspruch. Auf Seiten Englands hingegen ist eine stets sich verstärkende Unnachgiebigkeit und Ungeneigtheit festzustellen, einer gegenüber seinen extremen Ansprüchen in Wahrheit bestehenden Ungewißheit durch wirkliche Konzessionen oder durch Schiedsgerichtsbarkeit ein Ende zu machen:

Die Haltung der Vereinigten Staaten.

Die Vereinigten Staaten wurden durch Venezuela von der Angelegenheit das erstemal im Jahre 1876 3) unterrichtet, von da an darüber dauernd auf dem Laufenden gehalten und fortgesetzt um Hilfe gebeten. Sie verhielten sich zunächst äußerst zurückhaltend.

Das erste Schreiben, das die amerikanische Regierung über diese Angelegenheit an die venezuelanische unter dem 31. Januar 1881 richtete,4) enthielt, wie eine Reihe späterer, lediglich Versicherungen des tiefen Interesses, das die Vereinigten Staaten

1) Das Memorandum bei einem Schreiben Salisburys an Urbanya vom 19. März 1890 S. 413 ff.

2) eod. S. 437; vergl. auch Earl Roseberys Antwortschreiben vom 22. Sept. 1893 und Michelenas Antwort darauf vom 6. Okt. 1893, ebenda S. 437 ff.

3) Calcaño an Fish, am 14. Nov. 1876, Corr. 1896, S. 3.

4) Evarts an Señor Camacho, unter dem 31. Januar 1881, eod. S. 14.

an der Angelegenheit nähmen und die Erklärung, daß sie nicht mit Gleichgültigkeit dem gewaltsamen Erwerbe solchen Territoriums durch England zusehen könnten.

Der erste Schritt, den die amerikanische Regierung England gegenüber in dem Streite vornahm, wurde erst im Jahre 1884 eingeleitet. Am 7. Juli dieses Jahres schrieb Staatssekretär Frelinghuysen dem Gesandten der Vereinigten Staaten in England, Mr. Lowell, er möge dem Lord Granville bei guter Gelegenheit Mitteilung von der Anteilnahme machen, die die Vereinigten Staaten allem gegenüber darbrächten, was die Interessen einer ihrer Schwesterre publiken auf dem amerikanischen Kontinente und deren Stellung in der Familie der Nationen berühre.1)

Diese Instruktion ist hier deshalb von besonderem Interesse, weil darin die später im Zusammenhange mit dieser Angelegenheit so oft genannte Monroedoktrin seitens der Regierung der Vereinigten Staaten das erste Mal eine ausdrückliche Erwähnung findet. Frelinghuysen bemerkt nämlich im Verlaufe seiner Ausführungen:

,,Die moralische Stellung der Vereinigten Staaten ist durch die Verkündung der Monroedoktrin gut bekannt.

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Die Zurückhaltung der Vereinigten Staaten zeigte sich auch darin, daß Bayard in einem Schreiben vom 21. Juli 18852) an Señor Soteldo auf dessen Vorschlag, daß die Angelegenheit durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten entschieden werde,3) antwortete, der Präsident fühle sich durch dieses Angebot sehr geschmeichelt, er sei aber der Ansicht, daß er nur dann die Frage, als Unparteiischer in irgend einem derartigen Streite zu handeln, erwägen könne, wenn das Ersuchen dazu gemeinsam von beiden Streitteilen an ihn gestellt werden würde.4)

Was das Anbieten guter Dienste anlangt, so hatte Staatssekretär Frelinghuysen in einer Instruktion an Mr. Baker vom 15. Juli 1882 erklärt, die Regierung der Vereinigten Staaten werde, falls die venezuelanische darum nachsuchen sollte, der englischen vorschlagen, die Frage möchte doch einer dritten Macht zur Entscheidung durch Schiedsspruch unterbreitet werden.) Venezuela

1) eod. S. 47 f.

2) Corr. 1896 S. 58 f.

3) Soteldo an Bayard unter dem 29. April 1885, S. 50.
*) eod. S. 16.

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