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Lectüren" (Werke V, S. 243): also an einer Stelle, die auf's Unzweideutigste verbürgt, dass hier seine wahre Meinung vorliegt.

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Sonst scheint gerade auf diesem Gebiete das mystische Phrasenthum Ad. Müllers sehr nachtheilig auf Gentz klaren Verstand gewirkt zu haben. In einem Briefe an Müller von 1810 preiset er nicht bloss dessen „überaus sinnreiche Ideen" vom Papiergelde als ein „unschätzbares Verdienst", sondern wirft ihm sogar vor, dass er noch eine etwas zu fühlbare Vorliebe für das Metallgeld" habe. Müller stelle das Letztere so reizend dar, dass sich der Leser am Ende schwer darin finde, wie Papiergeld doch auch vollständiges Geld sei. (Werke IV, S. 362.) Die späteren Schriften von Gentz (seit 1816) über Bankfragen sind daher zum Theil im höchsten Grade sophistisch. Die Ueberschätzung des Metallgeldes von Seiten des Mercantilsystems habe die Münzen zur Waare gemacht, und nun müsse deren Geldfunction durch ein anderes Geld ersetzt werden. (Werke III, S. 296 fg.) Erst das Wort des Staates macht jede Form, sei es Metall oder Papier, zum Gelde. Mit diesem Worte ist nun die neue österreichische Bank ausgestattet. (S. 298.) Das Papiergeld soll ein besonders actives, beständiges, nationales Geld sein. Während das Metall so leicht aus dem Lande geht, kann man jenes in dem gewünschten Umfange festhalten, auch am leichtesten im Lande selbst vertheilen. (S. 365.) Im Disagio des Papiergeldes erblickt Gentz eine indirecte Steuer, wogegen er die Auffassung als Anleihe für den Staat ausdrücklich verwirft. (S. 354 ff.) Jene Steuer soll eine vorzugsweise gleichmässige und gut zu handhabende sein: nur freilich mit der Ausnahme, dass sie die Besoldeten und Staatsgläubiger am meisten drückt, die aber auch am leichtesten vom Staate entschädigt werden können. (S. 341 ff.) Darin hat Gentz unstreitig Recht, dass die Einziehung selbst eines stark entwertheten Papiergeldes immerhin eine Lücke in dem Register der nationalen Vermögensbestandtheile bildet (S. 327); ebenso, dass landständische Einrichtungen nicht vor Bankerott schützen. (S. 288 fg.) Aber die nicht incorrecten Ansichten, welche er in diesen Aufsätzen über das Zettelbankwesen äussert,

werden mehr als aufgewogen durch Müllers Geständniss, er selbst und Gentz stimmten darin ganz überein, dass eine gut organisirte Bank gelegentlich auch ohne die Bedingung der Realisation ihrer Noten bestehen könne. (Briefwechsel, S. 218.) Und es ist doch ein schlimmer Trost, wenn Gentz meint, das Zeitalter (1816) sei noch nicht reif für das Kunstwerk guten Papiergeldes und die Sache in fast allen Ländern zu schlecht angefangen worden, als dass sie hätte gedeihen können. (a. a. O. S. 217.)

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Ueberaus charakteristisch für die Wahrheitsliebe von Gentz späteren Lebensjahren ist der in hohem Grade lobende Aufsatz, welchen er 1826 über das Haus Rothschild verfasst und auszugsweise im Conversationslexikon veröffentlicht hat (Werke V, S. 113 ff.): wenn man daneben das scharfe Urtheil über dieselben Menschen in einem Briefe an Müller hält. Gemeine, unwissende Juden, von gutem äussern Anstand, in ihrem Handwerke blosse Naturalisten, ohne irgend eine Ahnung eines höhern Zusammenhanges der Dinge, aber mit einem bewundernswürdigen Instincte begabt, welchen die Menge Glück zu nennen pflegt" u. s. w. (Briefwechsel, S. 267.) Ob nicht Gentz und Müller selbst, ohne es zu wissen, bei Metternich und dessen eigentlichen Standesgenossen eine ähnliche Verschiedenheit des exoterischen und esoterischen Urtheils erduldet haben?

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Gegen Ad. Müller scheint Gentz immer wahr gewesen zu sein. Er schreibt ihm 1805, dass ihre Unterredungen sehr oft mit deutlichen oder doch ziemlich deutlichen Begriffen anfingen, vom Dunkleren ins Dunklere fielen und zuletzt mit solchen Worten endigten, die ich, nach meiner Art zu sehen, Gewäsch nenne und ewig nennen muss". (Briefwechsel, S. 28.) Um 1806 bezeichnet er ihn als dans ce moment le premier génie de l'Allemagne (Werke I, S. 302); noch 1811 gegen Rahel als „einen der ersten Menschen dieser und aller Zeiten, im Gespräch mit Keinem zu vergleichen". (I, S. 122.) Um 1818 gibt er ihm zu, dass er göttlich schreibe, so oft er wolle; vergleicht ihn aber doch mit einem Manne, der ein prachtvolles Gastmahl auf einem hohen, isolirten, un

zugänglichen Thurme aufstellt. Selbst edlere Geister (wie Metternich und Gentz) denken oder sagen: wir verlangen nichts Besseres; aber wie kommen wir auf Deinen Thurm? (Briefwechsel, S. 248.) Im Ganzen ist der Einfluss des begeisterten Doctrinärs auf den praktischen Lebemann mit den zunehmenden Jahren des letztern wohl grösser geworden.

Adam Müller.

(1779-1829.)

V.

lehre

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Der Grundgedanke in Adam Müllers Volkswirthschaftsvon seinem vielseitigen geistigen Leben doch wohl die vornehmste Seite! -ist Reaction gegen Adam Smith. Aber keine blinde, feindselige, sondern eine bedeutende, wirklich ergänzende Reaction. Er bewundert Smith, „den unvergleichlichen Gelehrten" (Elemente der Staatskunst III, S. 80), „den grössten staatswirthschaftlichen Schriftsteller aller Zeiten" (Vermischte Schriften I, S. 57), der auf ökonomischem Gebiete ebenso gross dastehe, wie Montesquieu auf juristischem. (Elemente I, S. 82.) Ist jedoch des letztern Hauptsatz, der von der mechanischen Theilung der Staatsgewalten, im Grunde nur eine Quacksalberei, daher sein ganzes Werk nur den Esprit, nicht aber den Geist der Gesetze trifft (Elemente I, Vorr.); so vertritt der Erstere mit entschiedener Einseitigkeit das Eigenthümliche der englischen Volkswirthschaft 1), also auch den überwiegend kapitalistischen, hauptstädtischen Charakter derselben. Freilich wird die Einseitigkeit Smith's, im Gegensatze von seinen deutschen Nachtretern, dadurch erträglich, dass er das reiche, historische Volksleben der Engländer stillschweigend

1) Wie auffällig übersieht Müller hier, dass der englische Staat zu Smith's Zeit doch grösstentheils die von Smith bekämpften Lehren praktisch befolgte! Späterhin wurde ihm diess klarer: Deutsches Museum I, S. 69.

voraussetzt. (E. III, S. 27 ff.) Selbst im Einzelsten liebt es Müller, seinen Accent vornehmlich auf die von Smith vernachlässigte Seite der Dinge zu legen. So z. B. sollen die grossen Wasserstrassen nicht sowohl durch Arbeitstheilung, sondern dadurch, dass sie das gegenseitige Begehren und Bedürfen zum Contact brachten, den ersten Reichthum hervorgerufen haben. (E. II, S. 219.) Müller spricht von einer lasterhaften Tendenz der Arbeitstheilung" und bemerkt rühmend, dass in England der Staat, überhaupt die höheren Klassen wenig Arbeitstheilung haben. (Verm. Schr. I, S. 235.)

Eine der schwächsten Seiten von Ad. Smith ist unstreitig die Systematik seiner Lehre im Ganzen. Er schreibt am liebsten in Monographien, die unter einander nur lose zusammenhängen. Ja, er hat den Versuch gemacht, in dem einen seiner Hauptwerke die menschlichen Dinge ausschliesslich vom Standpunkte des Eigennutzes, in dem andern ebenso ausschliesslich vom Standpunkte des Mitgefühls zu erklären. Dagegen nimmt Müller überhaupt nur zwei Staatswissenschaften an: die Rechts- und die Klugheitslehre, welche letztere die Politik, Nationalökonomik etc. zusammenfasst. Den Widerspruch dieser beiden Wissenschaften kann nur die Religion heben, wo Gott zugleich als der höchste Richter und höchste Hausvater begriffen wird 1). Den harmonischen Gang des Staates findet er dadurch gesichert, dass der Justizminister Alles ökonomisch, der Finanzminister Alles rechtlich auffasse. (E. I, S. 98 ff.)

Wenn Ad. Smith, wie die meisten tonangebenden Männer seiner Zeit, eine unverkennbare Neigung zum Atomismus hat, so ist es ein Hauptverdienst Müllers, das organische Ganze sowohl des Staates im Allgemeinen, als der Volkswirthschaft insbesondere hervorzuheben. Nach ihm ist der Mensch gar nicht zu denken ausserhalb des Staates, (E. I, S. 40.) und der Staat die Totalität der menschlichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu einem lebendigen Ganzen.

1) Von der Nothwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesammten Staatswissenschaften und der Staatswirthschaft insbesondere, (1819) S. 31 ff.

(E. I, S. 66.) Die Volkswirthschaft nennt er das Product aller Producte. Was ist ein Reichthum, der sich nicht selbst garantirt? Und das kann er nur im Volksganzen. (E. II, S. 202.) Wie sich die volonté de tous von der wahren volonté générale unterscheidet, so auch das intérêt de tous von dem wahren intérêt général. (E. II, S. 206.) Was Smith von der Arbeit sagt, würde richtig sein, wenn er das ganze Volksleben als Eine grosse Arbeit auffasste. (E. II, S. 265.) Alle wahre Arbeit ist productiv. Die viel bestrittene Frage nach dem verschiedenen Productivitätsgrade der verschiedenen Arbeitszweige wird von Müller so tief als klar dadurch gelöst, dass er die gesellschaftliche Nothwendigkeit als Massstab gebraucht. So z. B. sei in kornreichen Jahren die Stadtwirthschaft, in kornarmen die Landwirthschaft productiver. (E. II, S. 255 ff.) 1)

Ebenso grosses Gewicht muss auf den organischen Zusammenhang in der Zeit gelegt werden, also auf die ununterbrochene Continuität des Staates und der Volkswirthschaft. Müller sieht eine Arbeitstheilung nicht bloss in der Aufeinanderberechnung gleichzeitiger Functionen, wie Ad. Smith sie im Gewerkfleisse nachgewiesen hatte, sondern auch in der Aufeinanderfolge der Functionen des Landbaus. (E. III, S. 37 fg.) Die grössten Privatfonds, die aber im Augenblicke der Noth aus einander gehen und den Staat im Stiche lassen, begründen viel weniger den Staatscredit, als kleine, die aber von der Volksexistenz durch und durch abhängig sind. (E. III, S. 62.) Ueberhaupt wird den Mode-Staatswirthen vorgeworfen, dass sie vom Credite, dieser zeitlichen Solidarität der Menschen, besonders wenig verstehen. (I, S. 104.) Meine Habe wird meinen Enkeln nur durch die Treue garantirt, mit welcher ich das anerkenne, was meine Zeitgenossen von ihren Vorfahren geerbt haben. (I, S. 89.) Den Geburtsadel schätzt Müller als ein Haupt

1) Ein grosser Fortschritt gegen Gentz, der in dieser Hinsicht noch ganz den Standpunkt Smith's festhält, namentlich alle Staatsausgaben, selbst die nothwendigsten, als unproductiv betrachtet. (Histor. Journ. 1799, S. 155.)

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