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I. Abhandlungen.

Geschichtliche Nachweisungen über Bundes-Gerichte.

Von R. v. Mohl.

Eine der schwierigsten Aufgaben der Staatskunst ist. unzweifelhaft die Entwerfung und Handhabung einer tüchtigen Föderativ verfassung, sei es dass ein Bundesstaat, sei es, dass ein Staatenbund beabsichtigt werde, und gleichgültig, ob Monarchieen oder Republiken den Bund schliessen wollen. Der im Wege stehenden Hindernisse sind es mancherlei, doch haben sie ihren hauptsächlichsten Grund in zwei inneren Widersprüchen.

Einmal in einem immer und überall vorhandenen, weil in der That auch bis zu einem gewissen Grade berechtigten Widerspruche in den Absichten der Mitglieder. Einer Seits nämlich zwingt ihnen das Bewusstsein einer zur Vertheidigung ungenügenden Macht und eines Mangels an Mitteln zur Gründung grosser nützlicher Einrichtungen die Erkenntniss auf, dass eine starke Gesammtgewalt unerlässlich, also auch die zur Bildung einer solchen nothwendige Abtretung von Rechten und von materiellen Beiträgen unvermeidlich sei. Anderer Seits aber ist das Gefühl der abgesonderten Persönlichkeit, die Liebe zur Selbstständigkeit, der Instinct der besonderen Stammesart, wohl auch der Stolz auf früheres geschichtliches Leben so mächtig, und zwar nicht etwa nur bei den Regierenden sondern auch in den Bevölkerungen, dass man sich nur zu dem geringsten Maasse von Gehorsam gegen eine zu schaffende

Zeitschr. f. Staatsw. 1870. I. Heft.

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höhere Macht, von Aufgebung eigenen Entschlusses, von Beseitigung hergebrachter Eigenthümlichkeiten entschliessen kann. Der Bund wird somit als eine leidige Nothwendigkeit, mit welcher man sich so wohlfeil als möglich auseinanderzusetzen sucht, nicht als der Mittelpunct eines aufrichtigen und opferbereiten gemeinschaftlichen Strebens angesehen und behandelt. Er soll zu gleicher Zeit stark und schwach sein, Vieles leisten aber Weniges begehren. Dieser Widerstreit centripetaler und centrifugaler Kräfte ist nun aber nicht nur die Veranlassung, dass in der Regel die so weit schwächere Verbindung eines Staatenbundes dem Bundesstaate vorgezogen wird; und er macht sich sogar nicht etwa blos geltend bei der Entwerfung der Hauptgrundzüge einer bestimmten Bundesverfassung, so bei der Feststellung der gesetzgebenden und der vollstreckenden Macht, bei der Ordnung einer Entscheidung über Krieg und Frieden, bei der Bemessung der Matricularbeiträge an Geld und Truppen, bei der militärischen Organisation und dem Oberbefehle über das Bundesheer: sondern er tritt auch bei aller und jeder einzelnen Einrichtung zu Tage. Immer wieder ist der Erfolg bedroht, weil die Einsicht in die Zweckmässigkeit oder gar Nothwendigkeit der Anstalt durchkreutzt wird durch die Abneigung gegen Unterordnung und gegen Aufgebung des Particularen.

Die zweite Hauptschwierigkeit liegt in der allerdings nicht begrifflich nothwendigen aber doch fast immer factisch vorhandenen Verschiedenheit der Grösse und der Macht der einzelnen Bundesglieder. Hierdurch entstehen mehrfache Widersprüche zwischen den Thatsachen und dem Rechte. So werden, um nur die nächstliegenden Fälle anzudeuten, schon bei der Organisation der Bundesbehörden Ansprüche erhoben werden, welche nicht im Einklange stehen mit den wirklichen Verhältnissen. Auch der kleinste Bundesstaat verlangt, da er bisher souverän war und nicht ganz untergehen will und soll, wenigstens Eine Stimme in der Bundesversammlung; die grösseren aber können, wenn nicht die Versammlung allzuschwerfällig werden und die eigene Existenz der kleineren zu einer blossen Fiction ablassen soll, nicht in dem Maasse

ihrer wirklichen Bedeutung bedacht werden. Am wenigsten ist diess möglich, wenn ein einzelner Staat alle anderen weit überragt. Eine in diesem Verhältnisse eingeräumte Stimmenzahl würde die sämmtlichen Uebrigen schon formell zu seinen Vasallen machen, was ja eben vermieden werden soll. Eine Ausgleichung durch Eintheilung in engeren und in weiteren Rath, oder durch Einräumung eines Veto, durch Anerkennung eines Vorortes mit bestimmten Vorrechten u. s. w. ist zwar nicht unmöglich, allein immerhin nicht leicht zu treffen, und bleibt doch schliesslich ein Nothbehelf. Sodann mag zwar wohl durch Stimmenmehrheit formell gültig ein Beschluss gefasst werden, welcher den Wünschen und Interessen eines mächtigeren Bundesgliedes zuwider läuft; allein ein Anderes ist die Vollziehung desselben. Entweder erklärt der zur Gehorsamleistung Ungeneigte, im offenen Widerspruche mit dem Bundesvertrage, sich nicht majorisiren zu lassen", oder er lässt thatsächlich den Beschluss unvollzogen; dann steht aber der Bund vor der Alternative eines verzweifelten, vielleicht unmöglichen Executionskrieges oder des demüthigen Eingeständnisses eines Löwenvertrages. Eine solche Unbotmässigkeit mag vorkommen nicht blos in auswärtigen Angelegenheiten, wo sie noch zu ertragen ist, weil hier doch schliesslich hauptsächlich die mächtigeren Bundesglieder einzustehen haben, sondern eben so gut in Beziehung auf innere, sachlich vielleicht unbedeutende Maassregeln.

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Es wäre nicht eben schwer, und sicherlich auch nicht ohne Interesse, das Hervortreten dieser in der Natur der Sache liegenden Schwierigkeiten, die Versuche sie zu beseitigen oder wenigstens zu vermindern, endlich die daraus im Verlaufe der Zeit entstehenden Folgen in der Geschichte der verschiedenen Staatenbünde des Näheren nachzuweisen. Eine so umfassende Untersuchung würde jedoch einen hier nicht in Anspruch zu nehmenden Raum verlangen. Wohl mag es jedoch gelingen, an einer einzelnen Bundeseinrichtung, welche überall vorhanden sein muss, der Sache nachzugehen. Als eine solche zum Beispiele sich eignende Anstalt stellt sich aber die zur Entscheidung von Streitigkeiten

unter Bundesgliedern in den verschiedenen geschichtlich bekannten Staatenbünden getroffenen Maassregeln dar.

Einige kurze Vorbemerkungen über die politische und rechtliche Natur solcher Einrichtungen werden dazu beitragen, dass im Allgemeinen der richtige Standpunct zur Beurtheilung eingenommen wird, und gestatten später eine kürzere Fassung der Bemerkungen über den einzelnen Fall.

Kaum bedarf es erst eines Nachweises, dass eine Einrichtung irgend einer Art zur friedlichen Entscheidung von Streitigkeiten unter den Bundesgenossen selbst zu den wesentlichsten Theilen eines jeden föderativen Organismus gehört. Die erste Bedingung eines geordneten Zusammenlebens von Staaten ist, dass sie die unter sich selbst ausbrechenden Zwistigkeiten nicht durch gewaltsame Selbsthülfe zu schlichten suchen. Also vor Allem nicht durch Krieg. Aber auch nicht durch Repressalien, und kaum durch Retorsionen, weil selbst die letzteren Maassregeln den Streitpunct nicht entscheiden, vielmehr die feindselige Gesinnung beiderseits noch steigern und schliesslich leicht selbst zu offenem Kriege führen. Kommt es zu einem solchen unter Bundesgliedern, so ist jeden Falles der Bund während der Dauer der Feindseligkeiten schwer beeinträchtigt und wahrscheinlich auch in anderen Beziehungen, als in Betreff der streitigen Puncte, suspendirt. Feinde können nicht in derselben Versammlung sitzen und gemeinschaftliche Angelegenheiten ruhig und gerecht berathen; allgemein nützliche und nachbarliche Einrichtungen innerhalb des Bundesgebietes werden durch einen Krieg auch zum Schaden Unbetheiligter vielfach durchbrochen und unausführbar gemacht; die finanziellen Bezüge der Gesammtheit kommen in das Stocken; die Macht und das Ansehen gegen Aussen ist tief beschädigt. Und damit nicht einmal genug. Ob selbst der endliche Frieden Alles wieder herstellt, ist sehr zweifelhaft; namentlich kann ein schnelles Wiedererwachen bundesfreundlicher Gesinnungen bei den Besiegten nicht erwartet werden. Diess ist so einleuchtend und so unzweifelhaft, dass unbedingt der Satz aufgestellt werden kann, eine Ver

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