Page images
PDF
EPUB

Von Manchester nach Oxford.

Endlich schlug die Abschiedstunde. Auf dem Bahnhofe angekommen, regte sich in mir der sehnsüchtige Wunsch, ich möchte mich auf ein Mal und mit einem Schub aus diesem dampfigen, rauchigen, geschäfts- und geräuschreichen, übervölkerten, neuen Manchester in das alte, gothische, die Wissenschaft pflegende, helle, elegante, klösterliche, geschäftslose Orford, ich möchte mit einem Schlage aus diesem ma nufacturirenden Nordwesten Englands mich in den scien= tifischen Süden des Landes verseht sehen. Ich fühlte diesen Wunsch und umhüllte mich, wenn auch nicht mit Oberon's Wünschmantel, der jeht in der Zeit der wirklich werdenden Wunder allen Reiz und Zauber vers lören hat, doch mit der Rauchwolke einer Locomotive und mit dem bequemen Großvarerlehnfessel eines englischen Eisenbahnwagens, und fiehe, nachdem ich eine Zeit lang darin verhüllt gewesen war, befand ich mich Kohl's Reisen in England. III.

1

Reise von Manchester nach Oxford.

wirklich in dem besagten Orford. Rasch zog sich der Rauch über Manchester zusammen und zeigte uns schnell ganz Lancashire im Nebel der Ferne. Schnell lösten sich die blaulichen Tinten der Ferne vor uns in die frischen lieblich grünen Landschaften der Grafschaft Chester auf. Auf den 22 hohen, magnifiken Bögen glitten wir über das Thal bei Stockport. Die Städte Knutsford, Crew, Stafford und Wolverhampton flogen mit allen ihren Gebäuden, Fabriken, niedrigen Kirchthürmen und himmelhohen Schornsteinen im Sturmschritt an uns vorüber, und in wenigen Augenblicken hatten wir ganz Staffordshire von seinem nördlichsten Punkte bis zum südlichsten durchflogen und sehten unseren beflügelten Fuß in Warwickshire nieder, wo uns eine alte Bekannte, die immense Stadt Birmingham, an der Gränze entgegenkam. Hier wurden uns freilich die Flügel ein wenig beschnit= ten. Denn wir mußten es uns gefallen lassen, für den leßten Theil unserer Reise der Eisenbahn zu entsagen und auf den minder raschen Flügeln einer englischen Stage= coach völlig bis Orford vorzuschreiten.

Alle anderen Dinge am Wege waren mir bekannt und gewöhnlich. Nur eine Emotion empfand ich auf dieser ganzen, 120 Meilen betragenden Reise, und dieß war in Stratford am Avon bei dem Anblicke einer kleinen niedrigen, halb verfallenen Cottage, an welcher ich die Worte angeschrieben fand: The immortal Shakespeare was born in this house" (der unsterbliche Shakespeare wurde in diesem Hause geboren).

„'

[ocr errors][merged small]

Ein Reisender unserer Tage, der in dem besagten Wünschmantel durch die Welt jagt, muß Vieles vers schmerzen, und so mußte auch ich es verschmerzen, daß ich dieses edle, dieses geweihte, dieses illustre Haus nicht betreten konnte, daß ich mir es versagen mußte, diesen Räumen, die das Schreien eines solchen unsterblichen Kindes vernahmen,5 meine: Huldigung darzubringen, daß ich nicht die volle Seelenbewegung genießen konnte, welche Folche geheiligte Räume, in denen ein großer Geist einst waltete, in unserem Innern erregen. Die Stage coach hielt zu kurze Zeit im Orte an. Doch werde ich den Anblick, den jenes wunderbare Häuschen bei dem Blick, den ich vom Wagen herab darauf warf, mir darbot, nie vergessen.

jes

Es ist ein niedriges kleines einstöckiges Haus nes Krippenhaus in Bethlehem kann nicht größer gewesen sein das zwischen zwei andere kleine Häuser, die ́ihm gleichen, eingekeilt ist, und das sich zwischen ihnen wie ein altes hinfälliges Mütterchen zwischen zwei Krücken kaum noch aufrecht zu halten scheint. Es ist ganz in dem Style der wenigen alten Häuser dieser Gegend gebaut, von denen man als Reste einer alten längst entschwundenen Zeit noch einige in diesen westlichen Städten Englands, wie auch in Birmingham und Manchester, findet, und die ich oben als halb aus Balken, halb aus Backsteinen errichtet, und schwarz und weiß angemalt beschrieb.

[ocr errors]
[ocr errors]
[ocr errors]

Das kleine bescheidene Häuschen steht zwischen den neuen großen und hohen Häusern, so auffallend`isolirt,

[ocr errors][merged small]

so außer aller Regel und doch dabei so bescheiden da, wie einst der junge von Gott beseelte Mann, der hier aufwuchs, mitten zwischen den großen, reichen und stolzen Krämern bedrängt und doch ausgezeichnet und einzig in seiner Art dastand. Es war, wie mir die Leute sagten, bis in die neuere Zeit herab ein,,Butcher's shop" (Fleis scherladen), und jeht wohnt eine arme Witwe darin, die den guten William und seine tüchtigen Schriften segnet, weil er ihr noch jest ihr tägliches Brod giebt. Denn fie nährt sich davon, den Fremden dieses Haus zu zeigen, und jene von uns citirten Worte hat sie an ein Bret ge= schrieben, das ihr dient, wie das Aushängeschild einem Gastwirthe.

Außer jenes großen Mannes Hütte blieben auch Kenilworth- und Warwick-Castle und Blenheim und andere große Schlösser, die vornehmsten Landsize und Parks der ersten englischen Familien, uns zur Seite. Allein es wird einem in England, wo es so viel Schönes giebt, ein Leichtes, so etwas Ausgezeichnetes zu versâumen, und man ist nun eben doch kein Argus mit hundert Augen, kein Briareus mit hundert Armen, keine Diana von Ephesus mit hundert Brüsten, um alle und alle Dinge zu sehen, zu greifen und mit der Milch der Gedanken zu nähren.

Wir langten den Abend spåt in Orford an, und aus dieser Stadt der Weisheit kamen uns die Kinder der Narrheit entgegen. Eine ganze Menge maskirter Knaben nämlich in allerlei komischen Verkleidungen begegnete uns

Die Kinder der Narrheit.

in fröhlichen Haufen in den Vorstädten. Es giebt verschiedene Zeiten und Tage im Jahre, an welchen die englische Jugend solche Verkleidungen vornimmt. Ich vergaß es leider, die Umstände, die an diesem Tage Veranlassung dazu geben mochten, zu vergewissern.

[ocr errors]
« PreviousContinue »