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Die Theile eines Collegium.

hatte zu verbrennen. Orford ist in Bezug auf Bereitwilligkeit, Verbesserungen zuzulassen, und in Bezug auf alle Fragen des politischen Fortschritts weit hinter Cambridge zurückgeblieben, obgleich diese Universität das minder berühmte und minder glänzende Institut ist.

Einige der kleinsten Collegien sind z. B.,,Merton-College, All souls' College, Lincoln-College, Corpus-College. Von diesen hat jedes ungefähr nur 100 bis 130 Mitglieder. Im Ganzen genommen zählt die ganze Universität ungefähr 5640 Mitglieder, die aber, wie dieß aus dem Vorigen hervorgeht, nicht immer in Orford residiren.

Was die innere Einrichtung der Collegiatsgebäude betrifft, so gleicht auch diese ebensosehr wie ihre Verfassung der unserer Klöster. Die Collegien nehmen gewöhnlich bedeutende, von Mauern umgebene Pläße ein, die in mehre Gehöfte zerfallen, um welche die Gebäude herum liegen. Diese bestehen aus verschiedenen Abtheilungen, einer, in welcher die Wohnungen der Fellows sich befin= den, einer oder mehrer anderen, in welchen die Wohnungen für die Studenten und ihre Tutoren enthalten sind. Die Wohnungen der Studenten sind wiederum je nach dem von ihnen bezahlten Preise und nach der von ihnen eingenommenen Stellung sehr verschieden, bald groß und prächtig, bald klein und unterm Dache.

Jedes Collegium hat seine eigene Kirche, jedes seine besondere Bibliothek und jedes endlich auch seine,,Hall,“ die dasselbe ist, was das Refectorium in unseren Klöstern. Diese Halls sind in manchen Collegien wahre Prachtsåle, worin die verschiedenen Classen der Studenten und Collegien

Das Innere der Collegien.

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mitglieder speisen. Die Tische sind nach Rang und Würden separirt und geordnet. Gewöhnlich ist für die Masters, Fellows und Gentlemen-Commoners eine,,High table" (Hochtafel) da, die am Hauptende des Saales zuweilen auf einer kleinen Erhöhung steht, alsdann eine,, Commoners' table" (Tafel für die Gemeinen), nachher besondere Tische für die Stipendiaten, und oft noch wieder andere für die Servitors, so daß man in manchen Collegien vier oder fünf verschiedene Classen von Tischen findet. Der Gast eines jeden nimmt nur an der Berechtigung seines Wirthes Theil, und so sißen die Gäste, Aeltern, Onkels, Freunde, welche die Commoners eingeladen haben, mit diesen an der Gemeinentafel und blicken ehrerbietig zu der gentilen Hochtafel hinauf. Man sieht, wie durch und durch aristokratisch hier Alles eingerichtet ist.

Außer der Hall giebt es natürlich auch noch andere Zimmer, ein kleines Weinzimmer, wo die Fellows und ihre Gäste und auch die vornehmen Studenten, welche mit ihnen auf gleicher Stufe stehen, sich nach Tische zum Caminfeuer zurückziehen, ein Berathungszimmer und dergleichen.

Endlich haben die meisten Collegien wunderhübsche Gärten, die zum Theil sogar auch dem übrigen Publicum geöffnet sind. Natürlich ist Alles proportionirt zu den Mitteln und zum Reichthum des Collegiums; bei den meisten ist Alles im nobelsten und prächtigsten Style. Doch man muß dieß zum Theil nåher in Augenschein nehmen, und ich will mit meinen Lesern durch einige dieser Collegien spazieren.

Weil ein solcher Spaziergang in Orford etwas ganz Gewöhnliches ist, und die meisten Fremden ihn unterneh men, so hat sich bei den niederen Bediensteten der Colle

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gien, die das Herumführen der Fremden zu übernehmen haben, eine große Geldgier entwickelt, und da jeder einem nur soviel zeigt, als zu seinem Bereiche gehört, der eine die Bibliothek, der andere die Hall, der dritte die Kirche u. s. w., und da es, wie gesagt, 24 Hallen und Collegien giebt, so kann man auf einem solchen Spaziergange ziemlich viel Geld ausgeben.

Spaziergang durch die Collegien.

Es ist Sonntagmorgen. Alle Glocken von Orford — und diese Stadt hat deren mehr, als man ihrer in einem Dußend anderer englischer Städte findet — läuten feierlich durcheinander, und wir machen uns, von Neugierde getrieben, auf den Weg zu dem schönsten und größten aller Orforder Collegien, dem „,Christ-Church." Die Straßen der Stadt sind mit den elegant gekleideten Studenten, Bachelors, Masters und Doctors gefüllt. Die Commo= ners erkennt man an ihrer einfachen Kleidung, die aus einer einfachen schwarzen weiten Toga und einer runden, mit einem viereckigen Deckel versehenen Müße, an der eine lange Quaste herunterhångt, besteht. Die Gentlemen-Commoners haben mehr Lißenbesaß an ihrer Toga, die überdieß mit rosenrother Seide gefüttert ist, und die Noblemen fallen sogleich an ihren goldenen Fåden und Lißen auf, die sie noch überdieß an ihrer Müße tragen. Die Kleidung ist ein so wichtiger Punkt in Orford, daß die Vorschriften darüber ins Unendliche gehen. Die Fest- und Heiligentage, an welchen die Doctoren in der Kirche ihre ,,Robes" (Feierkleider) tragen, sind mit einem besonderen Stern bezeich=

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net.,,During term" (während der Terminzeit, d. h. wäh rend der Vorlese- und Studienzeit) tragen die Doctoren in der Christ- und der St.-Marien-Kirche (der Universitätskirche) thre,,Congregation-habits" (ihre Versammlungskleider), die wieder etwas anders find als die Altags= und die Feierkleider. (Während der Ferien und in den anderen Kirchen gilt dieß aber nicht.) Kurz, wie gesagt, die Orforder Kleidergesehe zu verstehen, dazu gehört ein Studium. Die Kleidergesehe der deutschen Universitäten sind viel einfacher; denn das Hauptgefeß heißt daselbst : „Kleide dich so, wie du Lust hast.”

Eben so complicirt ist das System der Festtage, der ,,university - ceremonies" und der remarkable days of Oxford." Fast in jedem Monate giebt es zehn oder elf solcher Tage. Der Anfang und der Schluß jedes ,,Term" find solche Festtage, ebenso wie der Anfangstag der Examina (Responsions), die Wahltage in den verschiedenen Collegien, der Tag, wo die beiden Proctors der Universität gewählt und dem Vicecanzler vor neun Uhr Abends (before nine o'clock in the evening) ange= zeigt werden 2. Während die jungen Studenten alle Morgen und alle Abend, auch am Altage, ein Mal zur Kirche gehen und des Sonntags außerdem noch Predigten am Tage über in der Kirche hören, findet an solchen außerordentlichen Tagen ausnahmsweise wohl noch eine latei= nische Litanei (Latin Litany) in der Universitätskirche statt.

Gleich über der Pforte von Christ-Church befindet sich ein interessanter Theil dieses Collegiums, der Glockenthurm desselben, mit der größten Glocke von Orford, dem

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Disciplin der Collegien.

fogenannten großen Thomas (great Tom). Diese Glocke läutet mit 101 Schlägen jeden Abend die 101 Studenten dieses Collegiums zusammen, und zwar, wie man mir sagte, schon um neun Uhr fünf Minuten. Alle Collegien werden zu einer gewissen Stunde geschlossen, und die Studenten, welche nicht zur rechten Zeit zurückkehren oder, wie hier der Kunstausdruck heißt, zur rechten Zeit,,einpochen" (knock in), sind gewissen Strafen unterworfen. Die Thürsteher müssen alle, welche zu spåt erscheinen, aufschreiben, und ebenso müssen sie. Abends und Morgens die bemerken, welche nicht zum Gebete in die Kirche kommen. Sie haben dazu einen Stift, mit dem sie einen Strich hinter dem Namen eines jeden machen. Sie sagten mir, daß sie dieß,,to prick in" (Jemanden einpricken, d. h. anmerken) nennten. Die jungen Studenten versäumen aber nur gar zu gern das lästige Kirchengehen,,,they cut the church" (fie schneiden oder, wie unsere Studenten sagen würden, schwänzen die Kirche). Die Aussicht von diesem Thurme über die Stadt wäre herrlich, wenn sie nur nicht wegen der unbequemen Einrichtung des Thurmes oben so schwer zu genießen wäre.

Christ-Church hat die prächtigste Halle von Orford, und die,,Christ-Churchhall" wird daher auch vorzugsweise,,the hall" (die Halle) genannt. Diese Halle ist mit den Portraits der ausgezeichnetsten und berühmtesten Studenten des Collegiums angefüllt. Ich bemerkte darunter die Bildnisse des Marquis von Wellesley, ferner des Cardinals Wolsey, des Stifters dieses Collegiums, des Herzogs von Wellington, der Königin, als Visitors dieses Collegiums.

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