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224 Zuvorkommenheit der Engländer gegen d. weibl. Geschlecht. den geringeren Stånden das Frauenzimmer in England mit einer besonderen Delicatesse und Aufmerksamkeit behandelt wird. Auch kann ich hinzusehen, daß es in London, und überhaupt in ganz England, Dienstmädchen, Hausmågde, Köchinnen, Kammerjungfern und Aufwärterinnen giebt, die durch ihr ganzes achtunggebietendes Wesen den Mann unwillkührlich zur Artigkeit und Dienstfertigkeit zwingen.

XXXIII.

Winchester.

Denselben Abend noch kam ich in Winchester in eine Gesellschaft, in der ich von meinen angenehmen Abenteuern gar nichts erzählte. Es war in dem interessanten, comfortablen und alterthümlichen Hause eines Geistlichen der Hochkirche, dessen Reize ich aber am anderen Morgen bei Sonnenschein erst vollständig erkannte.

Die,,Baronial Halls" in England find paradiesisch, und man hat Ansichten und Beschreibungen von ihnen in einer Menge ihnen ausschließlich gewidmeter Prachtwerke gesammelt. Nicht weniger reizend in ihrer Art sind aber die Residenzen der Geistlichen (natürlich der der Hochkirche), die Wohnungen der Rectoren, der Vicars, der Curates, und dann vor allen Dingen der Deans und Chapters. Die Wohnungen der legteren bilden immer ein klosterähnli= ches Ensemble von hübschen Gebäuden.

Wenn ich nur die wenigen Predigerhäuser, die ich ge= sehen habe, in Gedanken rückblickend, überschaue, so habe ich schon in ihnen eine ganze Reihe pittoresker und interesKohl's Reisen in England. III.

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Die Wohnfige der englischen Geistlichen.

fanter Gebäude. Das eine stammt aus Elisabeth's Zeit und ist im altfränkischen Style gebaut, das andere sieht gar einem mittelalterlichen Schlosse ähnlich, ist aber im Inneren auf das Comfortableste eingerichtet, das dritte erscheint in neuerem Styl, alle aber sind niedrig, traulich, in der Regel mit Epheu malerisch umrankt und von reizenden Rasenpläßen und Gartenanlagen umgeben. Selbst die Wohnungen der Geistlichen in den Städten haben sich in der Regel eine ländliche villaartige Situation gewählt, sogar der Palast des Erzbischofs von Canterbury (Lambeth-Pallace) in London.

Als ich am anderen Morgen in den reizenden Garten meines geistlichen Freundes trat, war ich ganz entzückt über die lieblichen Partieen und die reizende Ansicht sei=. nes Hauses, in welchem ich, wie es mir schien, immer hätte wohnen mögen, und in dem mein Freund, wie er mir fagte, nur einige kurze Monate im Jahre weilte, weil er noch andere kirchliche Residenzen" hatte, in denen er andere Theile des Jahres zubrachte.

Auch von der Kathedrale hatten wir vom Garten aus eine wunderhübsche Ansicht. Es sind gewöhnlich die Gårten der Geistlichen diejenigen Pläge, von denen aus sich die englischen Kathedralen am reizendsten ausnehmen. Wir blieben indeß bei der bloßen äußeren Ansicht nicht lange stehen und begaben uns bald hinein, um dieses herrliche Gebäude, das eine der schönsten und ältesten gothischen Kathedralen in England ist, in der Nähe zu besichtigen. Winchester war einst bekanntlich die vornehmste Residenzstadt der Könige von England bis auf Eduard I. herab,unter dessen Regierung London an

Die englischen Kathedralen.

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Wichtigkeit zu steigen anfing und Winchester dagegen an Bedeutsamkeit eben so verlor wie das benachbarte Salisbury.

Ich will mich einer Schilderung dieser Kathedrale enthalten, weil sie denen von York und Salisbury, die wir bereits schilderten, sehr ähnlich sieht. Nur will ich noch ein Mal auf die charakteristische Lage der großen englischen Kathedralen zurückkommen. Die Kathedrale von Rouen, der Dom von Cöln, der Münster von Straßburg, die gothische Kirche von Antwerpen, mit einem Worte alle diese prächtigen alten Gotteshäuser bei uns auf dem Continente, liegen so recht mitten in dem Gewirre und Gebrause des städtischen Lebens. Sie sind meistens von Marktplågen oder den lebhaftesten Verkehrsstraßen der Stadt umgeben. Sie erheben ihre hohen Thürme mitten aus dem dichtesten Gedränge der Häuser, ja zum Theil sind sie vollkommen von anderen Häusern vermauert und verbaut. Nicht so die englischen Kathedralen. Sie haben sich alle ihre nächste Umgebung frei zu erhalten gewußt. Wiesenplåge, Parks, schöne große Bäume umgeben sie; keine große Straße führt an ihnen vorüber, und eine tiefe klösterliche Sonntagsruhe herrscht rund umher. In einiger Entfernung von ihnen liegen auf allen Seiten die stillen Wohnungen der Domherren und Geistlichen. So ist es mit den Kathedralen von Winchester, von Salisbury, von Durham, so zum Theil mit der Westminster-Abbey, kurz mit den meisten Kathedralen von England.

Auf den ersten Blick gefällt einem die englische Weise besser. Aber auch die continentale hat ihr Schönes. Die englischen Kirchen kommen einem oft vor, als seien sie ein

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Das Collegium von Winchester.

Privateigenthum der Geistlichen, als gehörten sie gar nicht mit zur Stadt. Unsere Kathedralen dagegen liegen wie Mûtter recht mitten unter ihren Kindern, wie Säulen oder ret tende Felsen recht mitten in dem Braufen der Markt- und Welt-Angelegenheiten.

Nach der Kathedrale ist, seitdem die königlichen Palåste der Stadt in Ruin gefallen sind, das berühmteste und interessanteste Institut von Winchester sein altes Collegium, welches wegen seiner Schule mit den Collegien von Eton, von Westminster, von Harrow und anderen wetteifert und, so zu sagen, zu den hohen Reichsgymnasien Englands gehört.

Dieses Collegium wurde im 14. Jahrhundert von dem berühmten Prålaten Wykeham gestiftet, dessen Name durch dieses und das Collegium, welches er zu Oxford gründete, der ganzen Jugend von England und somit der ganzen Bevölkerung des Landes so bekannt ist, wie bei uns der Stifter des Halleschen Waisenhauses.

Die 70 armen Schüler von Winchester wurden auch nach ihm Wykehamisten genannt, weil er das Collegium so dotirte, daß es im Stande ist, sie zu erziehen.

Außer diesen 70 armen Schülern giebt es, ebenso wie in Eton, noch viele reiche, die auf ihre eigenen Kosten dort studiren. Die ganze Einrichtung der Gebäude, Kirchen und Schulräume gleicht sehr der Einrichtung der Collegien von Eton und Orford. Doch sah ich auch hier viel Eigenthümliches.

In einem Zimmer zeigt man dem Fremden ein altes Gemälde, welches das Ideal eines treuen und vollkomme

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