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äußerst kühnen und schlanken Stüß- oder Strebepfeiler, oder, wie die Engländer sie sehr charakteristisch nennen, die ,,flying buttresses“ (die fliegenden Pfeiler). Es waren hier sowohl innerhalb als außerhalb der Kirche zur Stüşung des Thurmes so schlanke, lange, dünne, kühn geschweifte „flying buttresses“ angebracht, daß man beinahe sagen möchte, der Thurm sei mit Steinbalken wie ein Mastbaum mit Stricken befestigt, und der Mensch habe hier mit Steinen auf eine fast unbegreifliche Weise durch die Luft gesponnen, wie die Spinne mit ihren Seidenfäden. Ich wunderte mich, daß diese Steine sich selber in der Schwebe halten konnten, und doch haben sie, sich nicht nur selber, sondern auch den Thurm: noch dazu getragen. Und das Gebäude steht nun schon, 600 Jahre."

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Die senkrechten Pfeiler, welche das Kirchendach tragen, haben auch etwas Besonderes, nämlich dieß, daß die Bündel (,,clusters" nennen fie die Engländer), welche aus runden Säulchen bestehen, lockerer und weniger mafsig sind, als dieß gewöhnlich in den gothischen Kirchen der Fall zu sein pflegt. Die dünnen. Säulen verschmelzen nicht zu einer dicken Masse, sondern stehen in den Pfeilern vollkommen rund in großer Anzahl dicht bei einander und gehen alle so rund, dünn, schlank und gelöst bis oben in den Gipfel des Kirchenschiffes. Ich konnte nicht ganz in das Innere der Pfeiler hineinsehen und auch mit der Hand nicht hineindringen, um wahrzunehmen, ob auch dort kein soliderer massiver Kern sich fånde. Doch schien es mir nicht so. Solche lockere Pfeiler erhöhen natürlich die Idee der Leichtigkeit und Gewandtheit, mit der das Gebäude die Seele ergreift.

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Zwei von den vier Pfeilern (supports), welche den Thurm in der Mitte der Kirche tragen, haben, von der ganzen, auf ihnen rühenden Hauptlast (jene oben genannten ,,flying buttresses“ sind natürlich nur ihre Gehülfen) ge= bogen, etwas nachgegeben. Man bemerkt die Biegung aber nur dann, wenn man sich unmittelbar unter die Pfeiler stellt und senkrecht an ihnen hinaufblickt. Man sagte mir, die ganze Ausweichung des Thurmes aus dem Lothe betruge oben an seiner Spike 22 englische Zoll. Er steht schon lange so, ohne zurückzugehen oder sich weiter zu bies gen. Lesteres ist ein kleines Wunder, denn wenn schon die senkrechten Pfeiler nicht im Stande waren, den Thurm zu tragen, so sollte man denken, müßten es die krummen und schon nachgebenden noch viel weniger vermögen. Vielleicht aber waren einige,,flying buttresses" auf diesen Fall berechnet, und während sie, vielleicht früher nicht so angespannt waren, mögen fie nun um so mehr thätig sein und den senkrechten Pfeilern energischer beistehen. Die ganze Höhe des Thurmes gaben sie mir zu 387 Fuß an, und diese Höhe kommt der Länge der Kirche, die 400 Fuß beträgt, ungefähr gleich.

Eine andere Besonderheit bei der Salisburyer Kirche, die ich mich auch nicht erinnerte früher in einer anderen gothischen Kirche gesehen zu haben, waren umgekehrte Bögen (inverted arches) in der Mitte derjenigen Oeffnungen oder Thore, welche die Transepts von dem „Nave" (Schiff) schieden. Es waren eigentlich zwei leicht geschwungene steinerne Bögen, einer nach unten und einer nach oben gebogen, die sich beide in der Spike berührten und in der Mitte jener bezeichneten

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großen Bogenthore angebracht waren. Diese Composition gewährte nicht nur einen Unblick von Kühnheit, sondern vermehrte höchstwahrscheinlich auch die Festigkeit des Ge= baudes.

Da man 365 Fenster herausbringen wollte, so giebt es erstlich eine Reihe großer Fenster in der Hauptmauer der Seitenschiffe, alsdann ist das Hauptschiff (the nave) durch eine zweite höhere und sich zurückziehende Reihe von Fenstern erleuchtet, und endlich giebt es noch eine Fenstergalerie ganz oben in der Nähe des Daches.

Die,,Cloisters" der Kirche sind sehr schön, sowie ebenfalls das,,Chapter-house", das in der Mitte von ei nem steinernen Palmbaume getragen wird.

In der Nähe der Kirche führte mich der gütige Freund, der in Salisbury sich meiner gefällig annahm, zu einem alten Dichter, der in der englischen Literatur bekannt, jezt aber an Geist und Körper eine Ruine geworden ist, während er sonst den Leuten mit seinen tiefgefühlten Sons netten das Herz bewegte. Es ist ein Jammer, daß nicht wenigstens die Dichter, wenn sie genug gelebt haben, rasch und auf ein Mal dieser Erde entrückt werden, und daß ein schöner Geist, wie ein schöner Leib so allmählig und so Stück für Stück unter den mordenden Streichen der Zeit erliegen muß. Doch ist man nie unter alten Leuten, ohne etwas Interessantes zu lernen. So erzählte mir einer der Anwesenden, da die Rede auf das jezige fleißige Lernen des Deutschen in England. kam, daß die Mineralogie und die Chemie diejenigen Wissenschaften gewesen wären, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts vorzugsweise der deuts

Veranlassungen zum Erlernen der deutschen Sprache. 107

schen Sprache in England den Weg gebahnt håtten. Er erin= nerte sich noch sehr wohl, daß in Edinburgh vor 40 Jahren Niemand Deutsch gelernt hätte, als die Mineralogen, daß für diese aber die Kenntniß des Deutschen als etwas ganz Unausweichliches und Nothwendiges betrachtet worden wåre. In der neueren Zeit sei noch die Musik und vor Allem der Gesang hinzugekommen. Nach den Minera= logen hätten die jungen Damen Deutsch zu lernen ange= fangen, seit der Ankunft des Prinzen Albert sei auch der Hof nachgefolgt, und jezt sei die Erlernung des Deutschen gar zur Mode und zur Manie geworden.

Stonehenge.

Um folgenden Tage reiste ich von Salisbury ab, um eines der größten Wunderwerke zu besichtigen, welches die Oberfläche der großbritannischen Inseln darbietet. Ich mußte dazu wieder in die Downs zurück; denn mitten in dieser wüsten Grasebene haben die Hände jener unbekannten Baumeister die sonderbare Steinzusammenstellung_errichtet, welche man Stonehenge nennt.

Es sind etwa 6 Meilen von Salisbury. Der Weg geht durch ein einförmiges Terrain. Wir begegneten keinem Menschen, nicht einmal Schäfern, welche die Umgegend von Stonehenge sonst gewöhnlich durchstreifen, wie Araberstämme die Umgegend der Säulen von Palmyra. Erst an Ort und Stelle trafen wir einen dieser Schäfer an.

Der erste Unblick von Stonehenge wird ohne Zweifel jeden Reisenden disappointiren. Man entdeckt da, wo der Kutscher zuerst darauf hinweist, in der Ferne eine schein= bar kleine Gruppe dicht zusammengestellter Steine, deren

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