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Ein Spottlieb auf die Franzosen.

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sich, wenn sie zum Singen aufgefordert werden, bei Weis tem nicht so sehr zieren, wie unsere deutschen, und dreist, obgleich mit Anstand und Bescheidenheit, das vortragen, was man wünscht, wenn auch oft man muß dieß der Wahrheit wegen hinzusehen―mit geringerer Sicherheit und weniger Wohlklang der Stimme als unsere deutschen Sångerinnen. Gleichfalls fiel mir auch das als charakteristisch auf, daß Jeder sein Lied, selbst wenn es sehr lang war, ganz perfect und ohne Fehler auswendig wußte und es immer bis zum legten Worte sicher und ohne Anstoß zu Ende, beachte. Bei einigen Liedern, ich möchte sagen, bei den meisten, war die Poesie wie die Melodie reizend. Bei dem Vortrage anderer fiel mir der deutsche Studentenspruch ein: ,,und hat er's auch nicht gut gemacht,

so hat er's doch zu Ende gebracht,"

was das Lob und den Tadel, die man dabei aussprechen möchte, zu gleicher Zeit enthält. Sie fangen unter anderen Liedern auch ein Spottlied auf die Franzosen. Hierbei fiel es mir auf, daß viele mich dabei ansahen und ge= wissermaßen um Verzeihung baten, als ob mich dieses Spottlied etwas anginge. Wir Continentalen werden von den Engländern im Durchschnitt alle halb und halb für Franzosen gehalten. Das gemeine englische Volk nimmt jeden Fremden von vorn herein für herein für einen Franzosen. Ich glaube nun zwar wohl, daß die Orforder Studenten recht gut zwischen einem Franzosen und einem Deutschen unterscheiden können, allein dennoch mochten sie unwillkürlich von jener allgemeinen englischen Annahme ge leitet werden.

Die Bodley'sche Bibliothek.

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Mehre ihrer Lieder waren aus dem Deutschen überseßte Studentenlieder. So fangen sie z. B.,,der Papst lebt herrlich in der Welt." Sie wußten aber nicht, daß es ihnen aus Deutschland zugekommen. Eigentliche Studentenlieder, die bloß Studentenlieder sind, mag es in Orford indeß wenige geben. Sie fangen auch See- oder Schiffergesånge, und viele andere Compositionen, die wenig mit dem Studentenleben zu thun hatten. Solche Lieder, wie z. B. das deuts sche Studentenlied:,,Wir sind die Könige der Welt," fehlen den englischen Studenten natürlich völlig, weil sie sich der engen Schranken wegen, in denen fie leben, zu den Ideeen und Gefühlen, die in diesem königlichen Studentenliede ausgeströmt sind, nicht so erheben können, wie unsere Burschen, die einer viel unumschränkteren Freiheit genießen.

Nach den Collegien besuchte ich in Oxford natürlich auch die anderen Sammlungen und Monumente, welche hier für die Wissenschaften errichtet sind, und zwar erstlich:

Die,,Bodleyan Library" (die Bibliothek von Bodley), die von Sir Thomas Bodley gestiftet wurde, und in welcher man außer sehr vielen anderen Büchern auch vollständig alle die Bücher findet, welche seit dem Beginne dieses Jahrhunderts im britischen Reiche erschienen sind; denn von einem jeden dieser Bücher muß dieser Bibliothek ein Exemplar gesandt werden.

Wie die Strome der Kenntnisse und Wissenschaf= ten in Orford überall in sorgfältig ausgehöhlten und unterhaltenen Candlen fließen, so sind auch die Bücher dieser Bibliothek nicht allzuvielen Leuten zugänglich gemacht,

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Cromwell's Handschrift.

und selbst die Wenigen, welche zur Benußung derselben berechtigt sind, müssen jährlich etwas dafür bezahlen.

Mich interessirte es am meisten, diejenige Abtheilung der Bibliothek zu übersehen, in welcher die englische Geographie und die englische Geschichte aufgestellt waren. Jede Shire hat in dieser Abtheilung einen ihr angewiesenen Raum, und man muß über den Reichthum von historischen Mitteln und über die Sorgfalt, mit welcher die Ges schichte jedes Ortes, jedes Fleckens, jedes ,,Parish" (Kirchspiels), jedes ,,Hundred" (kleinen Districts) von England ausgearbeitet ist, erstaunen. Es giebt so umständliche Bücher über jede Grafschaft, daß man meistens sogar die Geschichte jeder einzelnen, nur einigermaßen bedeutenden Familie darin nachsehen kann. Natürlich ist gewiß auch in der britischen Geschichte noch Vieles aufzuhellen. Allein wäre es so leicht, deutsche Geschichte zu schreiben, wie es leicht ist, die britische Geschichte bloß mit Hülfe der Bodley'schen Bibliothek zu schreiben, so hätten wir Deutschen gewiß långst eben solche classische Werke über unsere Geschichte, wie die Engländer über die ihrige. Um doch ein Andenken aus diesem reichen historischen Raume zu haben, copirte ich mir die Unterschrift des merkwürdigsten Canzlers der Universität, Cromwell's nämlich, die so charakteristisch ist, wie wohl selten ein Autograph sein mag. Hier ist sie:

Kromwell

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Von einer Last ist diese Bibliothek befreit, welche auf einigen unserer deutschen Universitåten schwer lastet, nåmlich von der, die Dissertationen aufzubewahren. Erstlich schreiben hier nur Wenige für die Erlangung ihres Grades eine Dissertation, und dann werden die geschriebenen nicht einmal gedruckt. Unsere Dissertationen haben gewiß schon manchen feinen Punkt der Wissenschaften beleuchtet. Doch in der Masse, mit welcher diese kleinen Leuchten herbeistürmen, hat die Kritik am Ende so vieles über Bord zu werfen, daß sie dieser Arbeit wegen jene ergiebige Quelle lieber ganz verstopfen möchte. Solche Leute, die nur ein Mal in ihrem Leben, nämlich in ihrem zwei- oder dreiundzwanzigsten Jahre, etwas, d. h. eine solche Differtation geschrieben haben und davon dann bis an ihr Lebensende sprechen, wie es deren bei uns giebt, hat Oxford nicht. Ich fand hier auf dieser Bibliothek eine kleine Quantität deutscher Dissertationen. ,,You feed us enormously" (ihr füttert uns erstaunlich), sagten sie mir mit Hinblick auf einige unserer voluminöfen Werke, die ich hier aufgestellt fand.

Am meisten kennen und schäßen sie in Orford unsere philologischen Arbeiten und unsere Ausgaben der Clafsiker. Ich fand die Döring'sche Ausgabe des Horaz, den Herodot von Müller hier in allen Buchhändlerläden. Nur die kritischen und ästhetischen Bemerkungen, die wir beigeben, sind ihnen jedes Mal zu lang, und sie scheiden immer die Hälfte davon aus. Butmann und solche Leute sind hier natürlich hoch geschäßt, und Passow's großes griechisches Lexikon wurde eben jezt überseht. Es ist wirklich

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Die Orforder Theologen.

auffallend, daß, obgleich die Humaniora hier in Oxford entschieden die Hauptsache sind (in Cambridge sind die ,,Disciplinae mathematicae" blühender), obgleich die Examina hier über die griechischen und lateinischen Grammatikregeln nie endigen, und obgleich auch in der That, ich glaube, die englischen Studenten im Allgemeinen viel fester in den lateinischen und griechischen Classikern find als die deutschen Studenten im Allgemeinen, doch die meisten besseren Ausgaben nicht nur, sondern auch die größten, wichtigsten und umfangreichsten philologischen Arbeiten von Deutschland her eingeführt werden müssen.

Ebenso auffallend ist es, daß, obgleich hier die Lehrstühle des Hebräischen und des Arabischen (lekterer schon 1636 gegründet) zu den åltesten an der Universität gehören, und obgleich hier Schriftkenntniß und schriftgemåße Glaubensfestigkeit Dinge sind, die als erste Erfordernisse betrachtet werden, doch die Kenntniß des Hebräischen bei Weitem nicht so verbreitet ist unter den Orforder Theologen wie unter unseren deutschen. Während es bei uns als Ausnahme gilt, wenn ein Theolog sein altes Testament nicht im hebräischen Urtexte lesen kann, gilt es hier als Ausnahme, wenn dieß einer versteht. Doch sagte man mir, daß in neuerer Zeit die Kenntniß des Hebräischen merklich unter den englischen Theologen zunehme. Vielleicht haben uns in Deutschland die vielen Juden, die bei uns wohnen, in dieser Beziehung einen großen Impuls gegeben und selbst auch Vieles zur Kenntniß des hebräischen Alterthums, der hebräischen Literatur und Sprache beigetragen.

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