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Rückkehr zum,,Markte der Welt."

neues hohes Gebäude, das sich jest gerade vor der Capelle von Eton erhebt, wird leider ein gutes Stück dieses reizenden Bildes verdorben.

,,Time and tide wait for nobody" (Beit und Fluth warten auf Niemanden), sagt das englische Sprüchwort. Nach der Erfindung der Eisenbahnen könnte man noch den Train hinzufügen und sagen:,,Time, tide and train wait for nobody." Wir eilten daher, uns von dem lieblichen Bilde von Windsor loszureißen und uns dem abgehenden Abendtrain zu überliefern, der uns und tausend Andere dann den Millionen zuführte, die auf dem Markte der Welt" ihre irdischen Wohnungen aufgeschlagen haben, und hier fielen wir tausend oder zweitausend oder wie viele unserer waren, als ein unbemerktes Tröpfchen in das Meer von Seelen, das an den Ufern der Themse wogte.

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Weihnachts - Pantomimen in London.

Ganz London steckte am Tage unserer Ankunft in eis nem derjenigen dichten und dicken Nebel, von denen die Engländer zu sagen pflegen, daß man Statuen und Bausteine daraus schneiden könnte.

Wir sahen troh der so überaus brillanten Gas-Erleuchtung der Londoner Straßen buchstäblich nichts als zuweilen den getrübten Schimmer einer Laterne, und auch diesen erkannten wir nur, wenn wir den Laternenpfahl schon mit der Hand greifen konnten. Die hellsten Gasflammen sahen aus wie verlöschende Nachtlampen.

Ein solcher Nebelschleier bringt einen wahrhaft ångstlichen Zustand in London hervor. Man kann nicht zwei Schritte in den Straßen thun, ohne die Umarmung mit einem Straßenpfahl oder einer Pferdeschnauze zu riskiren. Besonders gefährlich ist es auf den mit Holz gepflasterten Straßen, wo die Wagen so leise rollen. Es muß ein wundervolles Wetter für Pickpockets und andere Schelme

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sein, die, wenn sie ein paar Schritte zur Seite gemacht haben, sogleich verschwunden und unsichtbar geworden sind. Viele Menschen gehen bei einem solchen Nebel gar nicht aus dem Hause.

Nur der bewundernswerthen Geschicklichkeit der Lon doner Kutscher kann es zugeschrieben werden, daß bei einem solchen Zustande der Atmosphäre die Unglücksfälle nicht noch häufiger sind.

Am anderen Morgen war es beinahe noch ängstlicher, jedenfalls sonderbarer. Bis elf Uhr brannten wir Licht, da wurde es Tag. Die Sonne schien, aber ich weiß nicht wie viele englische Meilen über den Köpfen der Londoner. Vor ihren Augen gab es bloß Dämmerung, und in einigen Laden und Comptoirs wurden den ganzen Tag die Lampen nicht ausgelöscht.

Dabei war es etwas Merkwürdiges, fast Unnatürliches, daß der Nebel nicht weißlich oder bläulich, wie der Nebel aller anderen Länder, sondern ganz ungewöhnlich gelb, oder vielmehr schwärzlichgelblich aussah. Wenn man zum Himmel aufblickte, so glaubte man in ein unendliches Meer schwärzlichgelblicher Flüssigkeit zu blicken.

Ich glaube, es ist der Steinkohlenrauch, der dem Londoner Nebel diese Beifärbung giebt, und da die Engländer ihren Städterauch als ein besonderes Präservativ gegen die Einflüsse des Nebels betrachten, so hat jene Farbe nichts Gefährliches, obgleich man anfangs vor ihr erschrickt.

"Ich will diesen Nebel für einen Augenblick zerreißen, und zwar um dem deutschen Leser hinter dem Vorhange ein heiteres Bild zu zeigen, das Bild einer Weihnachts

Saturnalien. Abbé de la Malgouvernée.

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Pantomime, wie sie die großen und kleinen Theater in England um Weihnachten und Neujahr in der Regel aufführen zu lassen pflegen. Da dem deutschen Leser einige einleitende Bemerkungen über diese englischen Weihnachts-Pantomimen nöthig sein möchten, so will ich auch diese voranschicken und hoffen, daß er die folgende kleine Skizze nicht ohne Interesse lesen möge.

Ich liebe mir den heitern Mann

Am meisten unter meinen Gästen ;

Wer sich nicht selbst zum Beßten haben kann,

Der ist gewiß nicht von den Beßten.

Im alten Rom feierte man im Monate December die ausgelassenen Saturnalien.

In Franken und Thüringen gingen sonst die Kinder um Weihnachten in allerlei Vermummungen in den Dórfern von Haus zu Haus und sammelten unter allerlei Scherzen und Gesängen Geschenke ein und theilten sie auch wieder aus.

In Frankreich hatte man um diese Zeit des Jahres ebenfalls Mummereien und Vergnügungen aller Art und wählte sogar, um alle diese Scherze zu leiten, einen König der Unvernunft, einen ,,Abbé de la Malgouvernée," fo wie in England zu ähnlichem Zwecke der ,,Abbot of Unreason" gewählt wurde, der auch,,Lord of Misrule" (der Lord der Mißregel) oder gar, wie in Orford,,,Imperator et Praefectus ludorum" genannt wurde.

Ja in allen Ländern Europa's gab es ähnliche Weihnachtsscherze, Mummereien, Gesänge, Pantomimen und Spiele.

Kohl's Reisen in England. III.

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Alter der Weihnachts-Pantomimen,

In keinem Lande aber scheinen sie mehr im Schwange gewesen zu sein als in England, wo selbst an den Höfen der Könige Weihnachts-Pantomimen aufgeführt wurden. An den Hof Richard's, des Sohnes des schwarzen Prinzen, zogen um Weihnachten 1377 nicht weniger als 130 Bürger von London, um ihn mit Musik und „,Mummynge" zu amüsiren, und zum Könige Heinrich IV. kamen zu gleichem Zwecke in einem anderen Jahre sogar zwölf vermummte ,,Aldermen" der City von London. Auch die Dukes und Earls zeigten demselben Könige ein Mal eine präch= tige Mummerei (they made a provysion for a Disguysynge, to be shewyd to the kynge).

Und in keinem Lande, können wir hinzusehen, sind fie noch bis auf den heutigen Tag mehr in Gebrauch geblieben, als in England, wo sie jest sogar noch brillanter zu sehen. sind als je zuvor, weil die großen mit so außerordent lichen Hilfsmitteln ausgestatteten Theater Londons sich diefer Volkssitte bemeistert und daraus einen der vornehmsten Gegenstände ihrer Bemühungen gemacht haben.

In der Hauptstadt selbst haben jene Theatergesellschaften das Volk sogar der Mühe, solche Pantomimen aufzuführen, ganz überhoben. Auf dem Lande aber, auf den Sihen der Gentry und in den Dörfern der Bauern werden sie noch jest zuweilen dargestellt.

Ich fuhr um Weihnachten durch mehre kleine Orte von Wiltshire, und fast in jedem begegnete uns eine Bande sehr komisch und phantastisch vermummter Knaben, die von Haus zu Haus gingen und ihre Spiele aufführten.

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