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In beiden wirkte die geistliche
Es half den Omajjaden nichts,

höchsten Würde im Frankenreiche. Macht auf die höchste Gewalt ein. daß sie Widerstand leisteten. Die Repräsentanten des religiösen Princips wurden ihrer Meister. Im Frankenreich griff das Priesterthum nur insoweit ein, als es die geschehene Veränderung sanktionirte. Der historische Gegensaß ist, daß der Occident durch die Krönung und Salbung Pipin's vereint, der Orient dagegen durch die Erhebung der Abbasiden gespalten wurde."

Jene Einigung des Occidents bildet den zweiten Hauptgegenstand der Darstellung. Wir sehen, wie bei völliger Ohnmacht der merowingischen Monarchie der fränkische Staat unter den Pippiniden sich einerseits nach innen in seinem einheitlichen Bestande behauptet, andrerseits nach außen ein Bollwerk des christlichen Europa gegen den vordringenden Islam wird. Wir sehen, wie durch den religiösen Gegensatz gegen die Kirchenpolitik des oströmischen Imperiums und durch den weltlichen Konflikt mit dem Vertreter der kaiserlichen Staatsgewalt in Italien die Loslösung des römischen Stuhles von Byzanz und jene folgenreiche Verbindung mit dem neuen fränkischen Königthum herbeigeführt wird, welche seitdem die allgemeine Situation beherrscht hat. Von Stufe zu Stufe vollzieht sich vor unserem geistigen Auge jene einheitsvolle Gestaltung des Occidents, wie sie zuerst die fränkischen Fürsten in kirchlicher Hinsicht zur Geltung brachten, indem sie sich in dem Werke der Christianisirung und der Organisation der deutschen Kirche mit der Kurie verbanden, und wie sie dann von Seiten des Papstes politisch ausgeprägt und vollendet ward durch die Krönung Karl's des Großen und die Errichtung eines occidentalischen Kaiserthums.

Für R. ist diese ganze Entwickelung das Resultat einer inneren Nothwendigkeit, in der Verflechtung der großen Angelegenheiten begründet und zugleich dem Bedürfnis der Zeit entsprechend. Er betont dies vor allem hinsichtlich des Verhältnisses Roms zu den germanischen Nationen, insbesondere der Einwirkung Roms auf die Christianisirung Deutschlands. So unbefangen R. die fruchtbaren Keime religiöser Entwickelung würdigt, welche die von Rom unabhängige kirchliche Bewegung der Zeit enthielt, so entschieden wird. die Ansicht derer bekämpft, welche die Möglichkeit behaupten, daß Deutschland durch die britische Mission ohne jene Unterordnung unter die hierarchische Oberhoheit des römischen Stuhles und doch unter der unmittelbaren Autorisation des fränkischen Fürsten hätte

christianisirt werden können. Der Nachweis, wie in dieser Ursprungsgeschichte der deutschen Kirche „alles mit den allgemeinen und besonderen Interessen zusammenhing", ist ein Muster universalhistorischer sämmtliche im Einzelereignis mitwirkende Faktoren nüchtern ab= wägenden Betrachtungsweise. - R. unterläßt selbst nicht die Frage aufzuwerfen, ob die Kirchenpolitik Pippin's, wie sie sich im engsten Anschluß an Rom in seiner späteren Regierungszeit gestaltet hat, im Sinne des Bonifacius war oder nicht. Er meint, daß Bonifacius, wenn wir ihn recht verstehen, bei seinem Anschluß an Rom vor allen Dingen eine höchste Entscheidung in Glaubenssachen im Auge hatte, deren er in den religiösen Meinungsverschiedenheiten in Deutschland bedurfte. Von einer unmittelbaren Einwirkung des obersten Bischofs in die allgemeinen Angelegenheiten, wie sie Papst Stephan unternahm, habe er keinen Begriff gehabt. Bei der Vernachlässigung, welche die alten Genossen der Missionsarbeit, meist Angelsachsen, erfuhren, habe er sich in seiner hierarchischen Stellung nicht mehr glücklich gefühlt und sei, mißmuthig und verstimmt über seine äußere Lage, zum Missionswerk zurückgekehrt, bei dem er — ohne die Stüßen, die er früher hatte den Tod fand. „Es ist das Schicksal hochbegabter Menschen, mit ihren innersten und tiefsten Gedanken suchen sie in die Welt einzugreifen, sie gerathen aber damit in das Getriebe der Kämpfe, die sie umgeben. Es gelingt ihnen, eine große Wirkung auszuüben; aber damit werden sie selbst entbehrlich.“

In voller Schärfe tritt dieser Gedanke der Nothwendigkeit des geschichtlichen Verlaufes im allgemeinen, so wie er sich thatsächlich vollzogen, auch in der Darstellung des Kampfes Karl's des Großen gegen die Sachsen hervor. Wohl wird es als ein schmerzlicher An= blick bezeichnet, dieses immer wieder vergebliche Ringen um politische und religiöse Unabhängigkeit; aber die Sachsen seien einer Macht unterlegen, welche die Sache der Religion und der mit ihr verbun= denen allgemeinen Kultur nach allen anderen Seiten hin vertheidigt habe. Karl war der Vollstrecker der Weltgeschichte", er hatte hier eine civilisatorische Mission, wie einst die Römer. Dabei verkennt übrigens R. gewisse Schwächen der sächsischen Politik Karl's nicht. Er betont, daß die von ihm in's Jahr 782 gesezten — drakonischen Religionsgeseze, sowie ihre blutige Ausführung zu Verden die Empörung geradezu herausfordern mußten. Wenn freilich die Verurtheilung der That von Verden abgesehen von dem Hinweis auf die Zweckwidrigkeit in die kühlen Worte gekleidet wird, daß es

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eine Handlung gewesen, welche das Andenken Karl's am meisten beLastet, so kontrastirt das befremdlich mit der Wärme, welche die Schilderung einer anderen Schreckensthat der Zeit, der Blendung Konstantin's VI., auszeichnet. Ist die Gräuelthat, welche dort an einem durch barbarische Mißhandlung (Todesstrafe für Fastenübertretung!) bis zum äußersten gereizten Volke verübt ward, minder „ungeheuerlich und entseßlich“, als der Vorgang im purpurnen Entbindungsgemach der byzantinischen Kaiserinnen?

Von hohem Interesse ist die Auffassung, welche R. in der Frage nach der Bedeutung des Einzelindividuums in dem großen Proceß historischer Nothwendigkeit gelegentlich der Beurtheilung Karl's des Großen ausspricht. Auch das größte individuelle Leben ist ihm nur ein Moment in der Verflechtung des allgemeinen Lebens, ohne daß jedoch andrerseits die Einwirkung unterschäßt würde, welche die schöpferische Einzelpersönlichkeit auf den geschichtlichen Verlauf zu üben vermag. „Große Männer schaffen ihre Zeiten nicht, aber sie werden auch nicht von ihnen geschaffen. Es sind originale Geister, die in dem Kampf der Ideen und Weltkräfte selbständig eingreifen, die mächtigsten derselben, auf denen die Zukunft beruht, zusammen= fassen, sie fördern und durch sie gefördert werden." Wir möchten diese Definition historischer Größe jener modernen Geschichtsauffassung entgegenhalten, welche z. B. selbst einen Perikles nicht mehr als schöpferischen" Staatsmann gelten lassen will, weil gewisse von ihm verwirklichte Ideen schon vorher diesem oder jenem aufgegangen!

Schade, daß R. die Konsequenzen seiner Auffassung von dem relativen Werthgehalt des Einzellebens nicht noch schärfer gezogen hat, als es thatsächlich geschehen ist. Was sollen z. B. im Rahmen der Universalhistorie weitläufige Erörterungen über den Todestag Omars oder den Alis? Wozu überhaupt alle die chronologischen Digressionen, von denen sich manche wie z. B. die Erörterung über den Tag der Niederlage des Arabers Al Samah in Aquitanien (I, 219) zu förmlichen Untersuchungen gestalten? Die Aufnahme solchen in die Spezialgeschichte und in die „Jahrbücher“ gehörigen Beiwerkes in die Universalgeschichte scheint uns wenig im Einklang mit der eigenen Erklärung R.'s, daß der Universalhistoriker sich Glück zu wünschen haben werde, wenn es ihm nur gelingt, die charakteristischen und durchgreifenden Momente hervorzuheben und dem großen Gange der Begebenheiten gerecht zu werden.

Welche Fülle von Aufgaben eröffnet dem Geschichtsschreiber allein die Bemerkung R.'s, daß der Streit der Weltmächte für die Völker, die er in sich begreift, unnüß sein würde, wenn er ihnen nicht Raum für ihr inneres Leben und ihre Ausbildung ließe! Allerdings wird man R. zugeben, daß diesen inneren Entwickelungen in der Universalgeschichte nicht die eingehende Schilderung zu theil werden kann, die sie an sich verdienen. Allein über die Grundzüge wenigstens verlangen wir orientirt zu werden, zumal soweit es sich um den Staat handelt; und es würde dafür auch im Rahmen der R.'schen Darstellung keineswegs an genügendem Raume fehlen, wenn all' das, was mit der Skonomie einer Universalhistorie unvereinbar oder entbehrlich ist, gestrichen würde. Wenn uns z. B. in der byzantinisch-arabischen Geschichte Einzelheiten, wie die Plünderung des Marstalls eines kaiserlichen Eunuchen durch die Araber, ein kaiserlicher Steuererlaß für Ephesus u. dgl. nicht vorenthalten werden, auf der anderen Seite aber hochwichtige Momente der Regierungspolitik Karl's des Großen unberührt bleiben, obwohl sie für die Beurtheilung der allgemeinen Situation des Staats- und Gesellschaftslebens der Zeit von einschneidender Wichtigkeit sind, so ist das eine Ungleichmäßigkeit, die sich fachlich nicht rechtfertigen läßt. Wir fragen z. B. vergeblich, warum wohl gelegentlich das im Jahre 780 zur Erhaltung des freien Standes und Grundbesizes für das lombardische Königreich erlassene Kapitular erwähnt wird, aber von den analogen Bestrebungen der späteren Reichsgesetzgebung überhaupt keine Rede ist.

Doch vielleicht kommt auf die angedeuteten Momente die Darstellung des sechsten Bandes zurück, welche sich mit den Tendenzen zu beschäftigen haben wird, welche die Auflösung der karolingischen Monarchie herbeigeführt haben. R. P.

III.

Die Verfassung von Genf und Rouffeau's contrat social.

Von

Gottfried Koch.

Rousseau's politische Theorie, wie sie sich in seinem 1762 erschienenen contrat social findet, ist keineswegs ein Erzeugnis der abstrakten Phantasien eines einsamen Denkers. Vielmehr haben ganz bestimmte Staatsformen dem von Rousseau geforderten idealen Staat als Muster gedient. Den Verfassungen von Athen und Rom, vor allem der seiner Vaterstadt Genf, entnimmt er die einzelnen Züge zu dem Idealbild, nach dem überall die Welt zu gestalten ist. Nun ist es aber nicht die bestehende Verfassung von Genf, die den scheinbar so ganz allgemeinen Ausführungen Rousseau's zu Grunde liegt, sondern, und das wollen die nachstehenden Zeilen beweisen, die Ansprüche, welche die Genfer Bürgerschaft im Kampf gegen die Verfassung erhob. Schon lange vor Rousseau hat man in Genf in ganz ähnlicher Weise, wie es im contrat social geschieht, gewisse praktische Forderungen theoretisch zu vertheidigen gesucht.

Die Verfassung von Genf beruhte auf der sog. Mediationsafte von 1738. Hierin waren mit der Beihülfe der Gesandten von Frankreich, Bern und Zürich fast alle Verhältnisse des kleinen Staates neu geordnet. Es war genau festgesezt worden, wie weit die Kompetenz der beiden Räthe, des der 25 und des der 200 gehe, was die Beamten zu thun hätten und worin die

Historische Zeitschrift N. F. Bd. XIX.

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